Im Gespräch mit Reisekoordinator Dieter Zisenis.

 

Von Odysseas Athanasiadis.

Die derzeitigen Spannungen zwischen Deutschland und Griechenland sind ein schwerwiegendes Thema. Trotz oder gerade wegen der ansteigenden Tendenz unterstützt die Monatszeitung Elliniki Gnomi durch detailierte Berichterstattung Organisationen sowie Projekte, die zum Spannungsabbau beitragen und die deutsch-griechischen Beziehungen stärken.athanasiadis1

Die Elliniki Gnomi hat wieder ein Interessantes Projekt gefunden. Die diesjährige Studienreise nach Thessaloniki, welche vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Region Duisburg Niederrhein organisiert wurde. Die Reise ermöglichte den Teilnehmern aus Deutschland mit einzelnen Bürgern und Verbandsvertretern in Thessaloniki und Nordgriechenland in Kontakt zu kommen. Zudem konnten sie sich ein eigenes Bild von der aktuellen Lage in Griechenland machen.

Odysseas Athanasiadis hat sich für die Elliniki Gnomi am Ende der Reise mit dem Koordinator der Gruppe, Dieter Zisenis, getroffen und ihm einige Fragen gestellt.

Elliniki Gnomi: Sie waren mit einer Gruppe deutscher Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer Studienreise für einige Tage in Griechenland, um sich vor Ort über die Situation im Land zu informieren. Haben Sie nach der Reise und ihren Gesprächen ein anderes Griechenlandbild als das von den Massenmedien verbreitete? Und welche sind, ihrer Meinung nach, die schwerwiegendsten Verzerrungen, die bisher über die Medienberichterstattung verursacht wurden?

Zisenis: Die verzerrte Berichterstattung bis hin zur Verbreitung von Unwahrheiten hat in den letzten Tagen in Deutschland ja eher noch zugenommen und ist oft unerträglich. Das Bild, das ich während unseres Aufenthalts in Thessaloniki gewonnen habe, ist: Es gibt viele – auch viele junge – Menschen, die etwas bewegen, etwas verändern wollen, die eine Perspektive suchen, die Verantwortung übernehmen wollen. In allen Gesprächen ist mir eine sehr ernsthafte, reflektierte, politische Haltung begegnet, die gar nichts mit dem Bild in unseren Massenmedien zu tun hat. Alle Gesprächspartner haben auf die eine oder andere Weise über die eigene Verantwortung auch der Griechen für die augenblickliche Situation gesprochen, niemand hat sich in der Weise geäußert, dass an allem nur andere in Europa, in Deutschland oder wer auch immer „Schuld hätten“. Im Gegenteil: Wir wollen jetzt anpacken ist die Stimmung. Mit der neuen Regierung gibt es endlich zumindest eine neue Chance, dass nicht mehr die alten politischen Eliten das Sagen haben (die korrupten Eliten, die einst gewählt wurden) und zumindest die Chance für eine Alternative besteht.

Elliniki Gnomi: Aus unterschiedlichen Ecken der deutschen Gesellschaft kommen Solidaritätsbotschaften für das griechische Volk und Land. Sehen Sie Möglichkeiten aus dieser Tendenz ein Gegengewicht zur Medienberichterstattung zu schaffen, damit die Stereotypen aus der öffentliche Diskussion weichen?

Was meinen Sie zudem zur massiven Austeritätspolitik? Die letzten fünf Jahre wurde mit dieser Strategie versucht das Land aus der Krise zu holen, und den Prozess der wirtschaftlichen Entwicklung in Gang zu setzen. Was ist Ihr Gefühl nach den vielen Gesprächen mit Verbandsvertretern und einzelnen Bürgern in Griechenland. War diese Politik erfolgreich. Und hat die Fortsetzung dieser Politik Aussichten auf zukünftigen Erfolg?

Zisenis: Die Austeritätspolitik ist gescheitert. Das ist nicht nur eine Einschätzung auf Grund der fatalen sozialen Situation mit einem völlig desolaten Gesundheitswesen und den völlig unzureichenden sozialen Sicherungssystemen. Das ist vor allem eine ganz rationale, politische und ökonomische Bewertung. Aus dieser Austeritätspolitik kann kein wirtschaftlicher Aufschwung erwachsen. Die Schuldenlast ist nur größer geworden. Die Wirtschaftsleistung ist nur noch stärker eingebrochen. Deshalb braucht dieses Land „Luft zum Atmen“, und das heißt eben ganz klar einen Schuldenschnitt oder mindestens eine völlig neue Umstrukturierung der Schulden mit wesentlich längeren Laufzeiten und günstigeren Konditionen. Es braucht Rechtssicherheit und Investitionsmöglichkeiten, die vor allem aber auch von anderen wirtschaftlichen Prinzipien geleitetet sein müssen: Nicht Profitmaximierung, Wettbewerbsfähigkeit im Turbokapitalismus oder „marktkonforme Demokratie“ sind mögliche erfolgreiche Strategien, sondern genossenschaftliche Ansätze, Gemeinwohlökonomie und dezentrale Strukturen. Und es braucht sicherlich andere staatliche, administrative Strukturen und Steuerungsmöglichkeiten, die dem Gemeinwohl und nicht einzelnen Gruppen dienen.

 

Elliniki Gnomi: Traditionell sind die deutsch-griechischen Beziehungen sowohl im wirtschaftlichen als auch im gesellschaftlichen Bereich sehr eng. Allerdings leiden diese aktuell unter den großen politischen Spannungen. Was sollte getan und was vermieden werden, um die jahrzehntelangen Beziehungen vor dauerhaften Schäden zu schützen – und auch weiter zu fördern?

Viele Griechen leben in Deutschland wie auch  viele Deutsche in Griechenland.  Könnten diese gesellschaftlichen Gruppen ein Verständigungskanal werden?

Zisenis: Da bin ich im Moment sehr skeptisch, ob da etwas gelingen kann. Die Stimmung ist so aufgeheizt und es regiert meist „der Stammtisch“, der hervorragend von einzelnen Politikern und Medien bedient wird. Gleichwohl bleibt keine andere Wahl als auch eine gewisse Gegenöffentlichkeit zu mobilisieren.

Elliniki Gnomi: Viele qualifizierte griechische Arbeitskräfte sind in den letzten Jahren auf ihrer Arbeitssuche nach Deutschland gekommen. Meinen Sie, dass diese jungen Menschen anschließend, mit den in Deutschland gewonnen Erfahrungen, die wirtschaftliche Entwicklung ihres Landes unterstützen können?

Zisenis: Im Moment ist das eher eine große Gefahr. Denn hier kommen die unsicheren Perspektiven in Griechenland und der zunehmende Fachkräftemangel in Deutschland zusammen und damit wächst die Wahrscheinlichkeit, dass junge Griechen, die nach Deutschland zur Ausbildung oder zum Arbeiten kommen, dann auch hier in Deutschland bleiben und für eine zukünftige wirtschaftliche Entwicklung in Griechenland fehlen.

Elliniki Gnomi: Nennen Sie bitte spontan drei positive Assoziationen, die Sie haben, wenn Sie an Griechenland denken?

Zisenis: Auch wenn es jetzt aktuell sehr pathetisch klingt: Mut, Stolz und Gastfreundschaft.

Schließlich hat sich die Reisegruppe in diesem Jahr ein weiteres Mal zum Nachtreffen zusammengefunden, um über die Gründung Solidaritätskomitees für Griechenland zu diskutieren.

Zudem wurden in diesem Rahmen auch Vorschläge der Elliniki Gnomi diskutiert, wie die Förderung der landwirtschaftlichen Produkte aus Griechenland auf dem deutschen Markt. So könnte ein Versorgungsnetzwerk aus haltbaren griechischen Qualitätsprodukten aufgebaut werden. Darunter fallen Produkte, die von Olivenöl, Wein, Honig bis hin zu Trockenfrüchten und präparierten Fisch reichen. Nach der ersten Probephase könnte das Netzwerk auch dazu genutzt werden, um frisches Obst und Gemüse nach Deutschland zu bringen.

Auch das vielversprechende Thema des Gesundheitstourismus zwischen Griechenland und Deutschland wurde behandelt, in der Absicht daraus handfeste Projekte entstehen zu lassen. Dabei könnte ein Gesundheitstourismusprojekt beiden Seiten mehrere Vorteile bringen. Den betreffenden Menschen werden andere Klimabedingungen geboten, die zur Gesundheitsförderung beitragen. Die deutschen Krankenkassen werden entlastet, da die griechischen Dienstleistungen günstiger sind. Der griechischen Wirtschaft ist wiederrum mit der Zahlung durch die Kassen geholfen. Und schließlich, kommen die Menschen beider Länder in Kontakt.

Fotos: Odysseas Athanasiadis

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