Was Europa den Griechen schuldet – Eine historische Abrechnung

 

Am 1. Januar 2014 übernimmt Griechenland die EU-Ratspräsidentschaft. Sechs Monate lang wird dieses in den letzten Jahren so geplagte Land eine wichtige Position im Rahmen der Europäischen Union einnehmen und zwar mitten in einer seiner schwierigsten Krisen. In  diesen sechs Monaten finden auch die Wahlen zum neuen Europäischen Parlament statt. Meiner Meinung nach, eine der wichtigsten und entscheidendsten Wahlen für die Zukunft und die Einheit der Europäischen Union. Ist all das ein Zufall? Was für ein Schicksal für Griechenland! Vielleicht aber auch eine Herausforderung und Chance für das Land, das in den letzten Jahren in der Meinung der Europäer so schlecht abgeschnitten hat, sein Image aufzupolieren und zurechtzurücken. Wie das gehen soll? Dazu muss man Karl-Wilhelm Weebers Buch „Hellas sei Dank!“ lesen.Hellas-dank.01jpg

Inmitten der aktuellen Wirtschaftskrise in Europa scheint die Bedeutung der griechischen Antike für die kulturelle und politische Identität Europas in der öffentlichen Diskussion oft unterzugehen. Dabei verdankt Europa den Griechen nicht nur das Ideal der Freiheit des Denkens und andere wichtige Prinzipien einer Demokratie, sondern auch das Verständnis von Wissenschaft. Die griechische Antike hat gelehrt unsere Umwelt nicht nur zu beobachten, sondern auch zu erklären. Die griechische Antike war es, die eine auf Partizipation basierende politische Ordnung verwirklichte.

Mit der globalen Ökonomie haben es die alten Griechen noch nicht so sehr zu tun gehabt. Aber kulturell war das alte Hellas für Europa ein reines Geberland! Europas Wurzeln liegen größtenteils im antiken Griechenland. Umso mehr ärgert es einen heute, wenn vom europäischen Selbstbewusstsein und Stolz von diesem wichtigen Beitrag für Europa zur Weltkultur wenig zu hören und zu lesen ist. Die derzeitige Stimmung in den Massenmedien und an den Stammtischen kann man im Satz „die Griechen wollen nur unser Geld“ subsumieren. Doch die Wahrheit ist eine andere. Die Europäer sind es, die in der Schuld Griechenlands stehen. Unsere Staatsform, die Art und Weise, wie wir denken, Medizin und Wissenschaft, jedes Theaterstück, die Kunst der Rede, wie wir Sport treiben, unsere Sprache, ja sogar unser Wissen von Liebe und Erotik – in allem steckt das Erbe von Sokrates, Aristoteles, Platon & Co. Davon ist Karl-Wilhelm Weeber überzeugt und das ist, was er in exzellenter Art und Weise in seinem Buch sehr treffend formuliert.

Mit seinem Buch „Hellas sei Dank!“ setzt Weeber seine Büchertradition über die Antike fort („Rom sei Dank. Warum wir alle Caesars Erben sind; 2010), wobei ihm damit ein gebildeter und zugleich spannender Streifzug durch die Geschichte der alten Griechen hervorragend gelungen ist. „Hellas sei Dank!“ ist ein Buch über die Fundamente der europäischen Zivilisation, also unserer Zivilisation, das Spaß macht! Karl-Wilhelm Weeber philosophiert unterhaltsam und zugleich lehrreich. Bei aller Ernsthaftigkeit, mit der er zum Exkurs durch die Geschichte einlädt, ist immer auch das ein oder andere Augenzwinkern zu spüren: „Chaos ist ein griechisches Wort“, schreibt Weeber beispielsweise, „das verwundert niemanden, der schon einmal in Athen am Steuer eines Autos gesessen hat.“

Weebers Kunst ist die gelungene Verbindung zwischen Fachwissen und Erzählung. So lernt der interessierte Leser nebenbei, dass in jedem Europäer auch ein kleiner Grieche steckt. Man braucht nämlich nicht in die Wissenschaft einzutauchen, um unbewusst Griechisch zu sprechen. Der ganz normale Alltag hält jede Menge Begegnungen mit der Sprache des alten Hellas bereit. Selbst mir, der noch Altgriechisch gelernt hat, wurde erst durch Weebers Buch bewusst, dass Kino von kinein, die Biertheke von théke, die Schule von scholé, die Butter von boútyron, der flache Kuchen von plakoús, die Lakritze von glykýrriza, die Kirsche von kérasos und die Petersilie von petrosélion stammen.

Eine Brücke zur Ökonomie hat Weeber schließlich auch parat. Er verweist auf die Sprüche der Sieben Weisen, so z. B. „Erkenne dich selbst“ und „Nichts im Übermaß“. „Erkenne dich selbst“ interpretiert er als Warnung vor Selbstüberschätzung und einen Machtanspruch, der die Gruppensolidarität zu sprengen droht. „Nichts ist Übermaß“ zielt in die gleiche Richtung. Die Sprüche der Sieben Weisen auf den Finanzschlamassel der Gegenwart übertragen, würden laut Weeber ihre universelle Anwendbarkeit illustrieren.

Einen Passus sei mir erlaubt wörtlich zu zitieren: „Der Ursprung des europäischen Denkens lag in Ionien, in den griechischen Städten Kleinasiens und den vorgelagerten Inseln. Die Ionier zeichneten sich durch besondere Weltoffenheit aus; sie verfügten über weitreichende Handelskontakte und kamen dadurch mit fremden Kulturen besonders intensiv in Berührung.“ Vielleicht hat Deutschland als Exportnation Nr.1 in der Welt doch von den alten Ioniern gelernt.

Karl-Wilhelm Weeber wurde 1950 in Witten geboren. Er ist Althistoriker und klassischer Philologe. Er leitete lange Jahre ein humanistisches Gymnasium in Wuppertal. Heute unterrichtet er als Honorarprofessor für Alte Geschichte an der Universität Wuppertal und als Dozent für Didaktik der Alten Sprachen an der Universität Bochum. Er hat zahlreiche Bücher zur römischen und griechischen Kulturgeschichte verfasst. Weebers Bücher stoßen bei einem breiten Publikum auf großes Interesse, weil er nicht nur ein ausgewiesener Pädagoge, sondern auch ein ebenso gelehrter wie unterhaltsamer Erzähler ist.

„Hellas sei Dank!“ – ein exzellentes Weihnachts- oder Neujahrsgeschenk für gute Freunde, Philhellenen oder welche, die es werden wollen.

ISBN 978-3-8275-0009-0; Siedler Verlag, München; gebunden mit Schutzumschlag, 400 Seiten.

 

pc

 

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