Deutschland hat ein außerordentlich differenziertes und leistungsfähiges System von Verlagen, das die Ansprüche des Zerstreuungslesers ebenso perfekt bedient wie die des Bildungshungrigen oder des Wissenschaftlers.

Das Adressbuch des Deutschen Buchhandels nennt rund 15.000 Unternehmen, die dem herstellenden Buchhandel zugerechnet werden können, darunter aber auch einige tausend, die nur gelegentlich mit Publikationen hervortreten. Welche Unternehmen in Deutschland tatsächlich eine relevante Verlagstätigkeit entfalten, zeigt eher die Umsatzsteuerstatistik, die 2.200 Verlage erfasst. 1.600 von ihnen liegen mit ihrem Umsatzvolumen unterhalb von 500.000 Euro im Jahr, tragen jedoch mit teils hoch spezialisierten Programmen wesentlich zur Angebotsvielfalt auf dem deutschen Buchmarkt bei. Umgekehrt gibt es 22 Verlagsunternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz: 70 Prozent des gesamten „Kuchens“.

Viele Häuser unter einem Dach

Konzentrationstendenzen sind im deutschen Verlagsbuchhandel somit deutlich erkennbar. So vereint die Bertelsmann AG unter der Dachmarke „Random House“ mit ihren rund 200 Verlagen als weltweit größtes „General Interest“-Verlagsunternehmen inzwischen auch 46 Verlage beziehungsweise Imprints aus Deutschland, darunter auch bedeutende Häuser für erfolgreiche Unterhaltungsbelletristik und populäre Sachbücher wie Heyne, Goldmann, btb oder Blanvalet, C. Bertelsmann, Blessing, DVA oder Siedler. Als Medienkonzern kann Bertelsmann von Synergie-Effekten Gebrauch machen, die seine Stellung auf dem Markt fortlaufend festigen.

Ähnliches gilt für den Holtzbrinck-Konzern, der auf dem Pressemarkt international agiert. Er hat mit den Verlagen Rowohlt, S. Fischer, Kiepenheuer & Witsch oder Droemer Knaur Publikumsverlage der allerersten Reihe mindestens als Beteiligungen unter seinem Dach. Hier stehen die einzelnen Verlage mehr noch als bei Bertelsmann in einem internen Wettbewerbsverhältnis zueinander und können – bei Erfolg – in der Programmgestaltung relativ unabhängig agieren. Mit einigem Abstand zu den beiden großen Medienkonzernen folgt der schwedische Bonnier-Konzern, der sich als Bonnier Media Deutschland im Belletristik- und Sachbuchbereich (Piper, Malik, Pendo oder Econ), im Taschenbuchsektor (List und Ullstein) sowie beim Kinder- und Jugendbuch (ars edition, Thienemann und Carlsen) eine starke Stellung geschaffen hat. Viertplatzierter Konzern ist Weltbild: ein Unternehmen im Besitz der katholischen Kirche, das Verlagsproduktion mit Versandbuchhandel und Sortimentsbuchhandel kombiniert.

Erfolge bei den Unabhängigen

Erfolgreich wirtschaften aber auch die konzernunabhängigen Verlage. Herausragendes Beispiel hierfür ist der Verlag Carl Hanser, der eine ganze Reihe von Literaturnobelpreisträgern oder Erfolgsautoren wie Umberto Eco im Programm hat. Keineswegs untypisch für die deutsche Verlagslandschaft hat der Literaturverlag einen starken, technikorientierten Fachbuch- und Fachzeitschriftenverlag im Hintergrund. In vergleichbarer Weise konnte C. H. Beck als einer der führenden juristischen Fachverlage erfolgreich einen geisteswissenschaftlichen Verlagsbereich aufbauen. Hanser und Beck sind in München, der größten Verlagsstadt Deutschlands, angesiedelt. Schwerer hat es da ein Unternehmen wie der Suhrkamp Verlag, der darum kämpfen muss, seine in den Sechzigerjahren errungene Stellung als zeitgeistprägender Verlag („Suhrkamp-Kultur“) in die Gegenwart zu retten. Mit seinem Umzug von Frankfurt am Main nach Berlin gab Suhrkamp diesem Bestreben auch äußerlich Ausdruck: Die Bundeshauptstadt entwickelt als ein wichtiges Zentrum des kulturellen Geschehens in Deutschland für Verlage allgemein eine immer größere Attraktivität.

Umsatzspitze: Wissenschafts- und Fachverlage

In der Öffentlichkeit spielen Namen wie Suhrkamp, Hanser, Fischer oder Rowohlt eine herausgehobene Rolle: das große Geld aber fließt in anderen Sparten des Verlagswesens. An der Umsatzspitze steht hierbei der wissenschaftliche Springer Verlag, der sich in den Händen einer ausschließlich renditeinteressierten internationalen Investorengruppe befindet. Die Gruppe Springer Science Business Media, die mit weltweit 55 Zweigverlagen neben Büchern und Zeitschriften in Naturwissenschaft, Medizin, Technik und Wirtschaft schon früh auf die Online-Technologien setzte, erzielte 2010 in Deutschland einen Gesamtumsatz von 482 Millionen Euro.

Im Ranking folgen mit der Klett-Gruppe und der Franz-Cornelsen-Gruppe zwei im Bildungssektor engagierte Unternehmen, die hauptsächlich mit Schulbüchern, Lernhilfen und Fachinformationen zwischen 400 und 500 Millionen Umsatz machen. Erst an vierter Stelle folgt Random House Deutschland, ehe mit Westermann erneut ein Schul-, Lernbuch- und Jugendbuchverlag punktet. Mit Haufe, Wolters Kluwer und Weka dominieren im Ranking noch weitere Unternehmen des Fachinformationssektors; die populären Literaturverlage finden sich erst auf Rängen zwischen 20 und 50.

Dynastien dominieren

Der Verlagssektor ist in Deutschland durchgehend privatwirtschaftlich organisiert. Bei den bedeutenden Verlagen handelt es sich zu einem hohen Prozentsatz um Familienunternehmen. Selbst in den managergeführten Medienkonzernen spielen Familien und Dynastien eine wichtige Rolle. 

Unter Gesichtspunkten der Eigentümerstrukturen sind auch die aus Zusammenschlüssen resultierenden Unternehmen erwähnenswert, so der 1961 gegründete Deutsche Taschenbuchverlag (dtv) oder der 1970 entstandene UTB (Uni-Taschenbücher), die für Verlage ohne eigene Taschenbuchreihe eine Verwertungsmöglichkeit für vorhandene Titelrechte bieten sollten. Beide Verlage begannen jedoch sehr bald, in Literatur und Belletristik beziehungsweise mit Studienliteratur Originalausgaben herauszubringen und entwickelten sich zu Verlagen mit einem eigenständigen Profil.

Aktuelle Lage und Zukunftsperspektiven

Im Ganzen betrachtet stellt sich die wirtschaftliche Situation des Verlagsbuchhandels in Deutschland als gesund dar; immerhin hat er seit 1992 sein Umsatzvolumen um 53 Prozent steigern können. Für 2010 wird nach vorläufigen Berechnungen der Gesamtumsatz auf 5,4 Milliarden Euro beziffert.

Inwieweit die deutsche Verlagsbranche für die digitale Zukunft gerüstet ist, muss sich erst erweisen. Im Frühjahr 2011 hatten immerhin bereits 35 Prozent aller deutschen Verlage E-Books im Programm (Umsatzanteill: 5,4 Prozent). Der Anteil am Gesamtmarkt liegt nicht zuletzt wegen des deutschen Preisbindungsgesetzes immer noch unter einem Prozent. Zögerlich sind die großen Publikumsverlage insbesondere im Bestsellersegment, weil sie hier die Verbreitung illegaler Raubkopien besonders fürchten.

Ernst Fischer

lehrt als Professor am Institut für Buchwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist der deutsche Buchmarkt vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart.

Copyright: Goethe-Institut e. V., Internet-Redaktion
November 2011

 

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