Autor: Gertrud Ortner.

Lisa Bartsiokas aus Tirol hat vor 30 Jahren einen Griechen geheiratet und lebt mit ihrer Familie auf der Insel Hydra. Sie betreibt dort zusammen mit Kostas Acheilas am Hafen ein exklusives kleines Restaurant.

„Die Touristen bleiben aus, das bemerken wir heuer ganz stark. Obwohl Hydra etwas Besonderes ist, was Sylt für die Deutschen ist Hydra für die Griechen“ bemerkt sie mit einem Blick auf die imposante Yacht des Prinzen von Saudi Arabien, der gerade vor der kleinen Hafenstadt ankert. Reich und Schön ist hier auf dieser autofreien Insel anzutreffen. Und dennoch: Auch immer mehr Athener können sich den Wochenendausflug auf die 2 Stunden entfernte Insel nicht mehr leisten. Die Gäste bleiben aus. Dennoch will Lisa Bartsiokas nicht klagen, „wir versuchen, mit attraktiven Angeboten wie zum Beispiel einem dreigängigen Mittagsmenü – kein Touristenmenü sondern hochwertige Qualität – um 14 Euro unseren Gästen entgegenzukommen und das funktioniert auch sehr gut“, so Bartsiokas. Griechenlandfreunde, also jene, die Land und Leute kennen, kommen nach wie vor. Viele aber, vor allem Individualtouristen, rufen an und fragen nach. Wie sieht es mit Unruhen aus, gibt es Demonstrationen? „Wir leiden sehr darunter, dass die Medien negativ berichten und übertreiben. Demonstrationen finden nur in Athen statt, wer mit dem Flugzeug nach Griechenland kommt, hat aber mit dem Zentrum der Stadt keine Berührung.“ Insgesamt beziffert sie den Rückgang der Touristen mit ca. 30 Prozent.

Sie sieht die Situation sehr dramatisch, für die Wahl am Sonntag will sie keine Prognosen abgeben.

Ihr Geschäftspartner Kostas wird zornig, wenn er auf die Politik in seinem Land zu sprechen kommt. „Sie haben alles zerstört, und die EU investiert lieber in die Türkei, als dass sie uns hilft. Und was die sogenannte Angst der Touristen betrifft: Fragen Sie Ihre Leute, die in letzter Zeit bei uns waren, ob irgendjemand die Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Griechen vermisst hat. Niemand, keiner wird Ihnen das mit einem Ja beantworten.“ Er wird am Sonntag links wählen, denn „die anderen beiden großen Parteien haben das Land in den Ruin geführt“.

Auf der Insel Poros betreibt Maria Marokou  mit ihrem Mann Jannis Livanos die Taverne „Garden“. Das Geschäft geht sehr schlecht, die Touristen bleiben aus. Maria arbeitet seit 24 Jahren als Lehrerin, ihr Gehalt wurde um 300 Euro gekürzt und beträgt derzeit 1300 Euro. Für die Universität des Sohnes Nikos und zusätzliche Privatstunden für Tochter Eltina gibt die Familie monatlich 1200 Euro aus.

Maria erzählt: „Vor einigen Jahren noch hat man uns seitens der Banken die Kreditkarten förmlich aufgedrängt, sogar in die Schule ist der Bankdirektor gekommen und hat mir und meinen Kolleginnen die Goldene Kreditkarte angeboten. Kein Wunder, er hat ja auch gute Provision dafür bekommen“.

Maria´s Mann Jannis verabschiedet sich jeden Abend gegen 22 Uhr, dann muss Sohn Nikos (17) mithelfen. Sein Vater fährt ins 70 Kilometer entfernte Porto Heli, wo er von Mitternacht bis 6 Uhr morgens das Haus eines reichen Russen bewacht. Dafür bekommt er 1000 Euro, abzüglich der Benzinkosten bleiben ihm 600 Euro. Sie wählt am 17. Juni Alexis Tsipras, weil er „die letzte Hoffnung für Griechenland ist“.

20 Kilometer weiter nördlich auf der Peloponnes in dem kleinen beschaulichen Bergdorf Driopi sitzen am Sonntag  nachmittag die Männer im Schatten der Platane am Dorfplatz und diskutieren über Politik. Plötzlich ertönt über das Dorf hinweg eine Fanfare und vier Autos fahren im raschen Tempo vor, das Anführerauto mit einer Fahne auf dem Motorraumdeckel und der griechischen Fahne aus dem Fenster wehend. Aus dem Auto springen sechs stämmige Männer, Bodybuildern ähnlich, und einige Frauen und verteilen Propagandamaterial und Zeitungen. Sie werben für die Neonazipartei Chrysi Avghi – Goldene Morgenröte, die für die Ablehnung von Sparmaßnahmen und Ausländerfeindlichkeit steht. Sie mischen sich unter das Volk, hauptsächlich aus älteren Menschen bestehend. „Ich habe Angst um meine Schafe, dass sie mir gestohlen werden“, meint Maria. „Wählt Nikos Michaloliakos, er sorgt dafür, dass ihr keine Angst mehr haben müsst. Er wird alle Ausländer des Landes verweisen“, so der Anhänger der rechtsradikalen Partei.

Und tatsächlich, nachdem in den umliegenden Dörfern bereits in einige Häuser eingebrochen wurde und täglich von Raubüberfällen zu lesen und hören ist, ist bei vielen die Angst und die Abneigung gegen die Ausländer geschürt. Über 2 Millionen Ausländer sind registriert, die Dunkelziffer jener, die nicht erfasst sind, soll sich auf fast eine Million belaufen. Drei Millionen Ausländer in einem Land mit insgesamt knapp 11 Millionen Einwohnern. Die Getreuen der Partei fahren in die entlegenen Dörfer und bieten den Menschen ihren Schutz an. Zigeuner werden damit bedroht, dass ihre Familien angezündet werden. In Athen kann man Anhänger dieser Gruppierung kontaktieren, sie begleiten die alten und schwachen Menschen auf Wegen zur Bank oder dergleichen und beschützen sie vor Überfällen.

Viele der Dorfbewohner sind begeistert. Dimitri meint: „Ich habe 37 Jahre auf dem Schiff gearbeitet, war immer nur 1 bis 2 x im Jahr zuhause. Immer habe ich entweder Pasok oder Neo Demokratia gewählt. Diese beiden Parteien haben alles zugrunde gewirtschaftet, die haben es sich selbst gerichtet und unser Geld gestohlen, meine Pension wurde um über 500 Euro gekürzt. Ich wähle diesmal Chrysi Avghi, die beschützen wenigstens mein Leben.“

Ein Dorfbewohner, Panajotis, ist von dem plötzlichen Überfall der Goldenen Morgenröte-Anhänger sichtlich erzürnt. „Was wollt ihr, ihr habt immer nur Gewalt im Sinn. Wie wollt ihr das Land retten? Wie wollt ihr für Arbeit für die Menschen sorgen? Wie wollt ihr ihnen zu Essen geben?“ schreit er. Keine Antwort, Fragen dieser Art werden generell ignoriert.

Nach einer Stunde, in denen versucht wurde, mit möglichst vielen Menschen Gespräche zu führen, ist der Spuk vorbei und so schnell die Autos gekommen sind, verschwinden sie auch wieder.

Am Abend erzählt Elias: „Es ist schlimm, was sich hier in unserem Land derzeit abspielt. Das Bildungssystem leidet enorm. Gut ausgebildete junge Menschen verlassen das Land, hauptsächlich nach Australien. Man muss sich seine Arzneimittel selbst kaufen, es gibt keine Rezepte mehr. Ich habe mehrere schwere Operationen hinter mir, ich habe mir vor kurzem um 2000 Euro die Medikamente selbst kaufen müssen. Politik – Armee – Polizei – alle sind sie korrupt. Sie stehlen uns das Geld und geben es dann in die Schweiz. Das System von Frau Merkel funktioniert nicht. Die Deutschen sagen, sie schicken uns Geld. Glaubst du, dass ein Cent hier in das Dorf oder sonst wohin zu den Menschen gekommen ist? Das Geld geht alles in die Banken, nur die profitieren davon.“ Er erzählt, dass Deutsche ins Dorf kommen, die um billiges Geld Land und Häuser kaufen wollen. „Wir haben ein herrliches Klima und 10 Monate Sonne im Jahr. Sie kommen und sagen: Du willst 100.000 Euro für dein Haus? Ich gebe dir 20.000 Euro, damit du dir zu essen kaufen kannst, sei zufrieden damit. Die wollen doch nur Griechenland runterwirtschaften, um es dann billig erwerben zu können.“

Athen war das Ziel der Jugend, sich dort eine Arbeit, eine Wohnung und eine Familie zu schaffen. Aufgrund der hohen Arbeitslosenzahlen kommen sie nun immer mehr in das Dorf zurück. „Was soll man in Athen, wenn man keine Arbeit hat? Die Miete im Haus des Vaters kostet wenigstens kein Geld“ meint Nikos. „Am Land kann man sich zumindest auch ein wenig Obst und Gemüse anbauen, aber die Menschen in Athen habe oft rein gar nichts mehr zum Leben“. In Kalloni, dem Nachbarort, haben in den letzten zwei Jahren fünf Tavernen zugesperrt. Das Baugeschäft ist zum Erliegen gekommen. „Die Menschen, die noch etwas mehr Geld haben, bringen es im Ausland in Sicherheit die anderen haben ihre Notgroschen daheim versteckt. Daher auch die vielen Überfälle“.

Tief betroffen ist der Ziegenhirte Jorgos darüber, als fauler Steuerhinterzieher abgestempelt zu werden, hat er sich doch sein bescheidenes Leben mit viel Arbeit verdient. „Die Deutschen haben im Krieg allein auf der Peloponnes unzählige Dörfer ausgelöscht. Frauen, Kinder, Babys, alle wurden sie erschossen, die Dörfer abgebrannt. Warum auch die Kinder und Babys? Was konnten die denn dafür, die haben doch niemanden etwas getan! Fast jeder von uns hat in der Familie jemanden, der von diesen Massenmorden betroffen war. Hat das je ein deutscher Tourist zu verspüren bekommen? Und jetzt, wo es eigentlich „nur“ um Geld geht, da werden wir hingestellt, als wären wir die letzten Menschen, dabei haben sie nach dem Krieg Züge und Tonnen von Gold von Griechenland nach Deutschland gebracht. Ich kann das einfach nicht verstehen und es tut mir im Herzen weh“.

Erschienen am 16. Juni in der KLEINEN ZEITUNG, Steiermark

 

 

ΑΦΗΣΤΕ ΜΙΑ ΑΠΑΝΤΗΣΗ