Berlin: Von Athanasia Theel

 

 La nuit et l’enfant, Flotel Europa und Hotline: Einblicke in die Facetten der Flucht

 

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La nuit et l’enfant / v. r. n. l. Lamine Bachar, Aness Baitich © La nuit et l’enfant

Die Sektion Forum der 65. Berlinale hat in diesem Jahr zahlreiche Filme gezeigt, die existentielle Krisen thematisieren und von Menschen handeln, die in ihrer Heimat nicht mehr sicher sind. Die Elliniki Gnomi hat sich die zwei Dokumentationen Flotel Europa und Hotline sowie den Spielfilm mit dokumentarischen Ansätzen La nuit et l’enfant angeschaut, welche auf verschiedenste Weise die Schicksale von Menschen und die Flüchtlingsthematik verarbeiten.
Der Film La nuit et l’enfant des französischen Regisseurs David Yon ist ein Werk, das durch seine Bilder bewegen soll und Emotionen anvisiert, die nicht so recht beim Publikum entstehen wollen. Das Geschehen vollzieht sich im algerischen Atlasgebirge in der Region Djelfa, wo in den 90er Jahren Terroristen zahlreiche Menschen aus ihren Dörfern vertrieben haben. Lamine ist auf der Flucht, er bewegt sich im Dunkeln oder Halbdunkeln, gesprochen wird wenig, bei sich ein Gewehr und an seiner Seite den Jungen Aness. Die Verfolger scheinen eine Mischung zwischen Realität und Traum. Es ist unklar, ob es sich lediglich um eine Erinnerung an die verlorene Jugend und die Vertreibung durch die Terroristen handelt. Dokumentarischen Charakter lässt sich dem Spielfilm mit dem Hintergrundwissen zuschreiben, dass der Hauptdarsteller, Lamine Bachar, tatsächlich seine Jugend zur Zeit der Terroristen in der Region Djelfa verbracht hat. Ansonsten gibt der Film nicht viele Informationen über die tatsächliche Vergangenheit her und versucht mehr einer poetischen, träumerischen Stimmung mittels des spärlichen Lichtes und den wenigen Spracheinschüben gerecht zu werden. Leider wabert die eigentliche Thematik in den 61 Minuten nur so vor sich hin und versickert in Wiederholungen, die vom Regisseur als Variationen anberaumt waren.

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Flotel Europa © Berlinale 2015

Kaum vergleichbar damit erscheint die Dokumentation Flotel Europa. 1992 kamen zahlreiche Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Dänemark, um dort Schutz vor dem gewaltsamen Zerfall zu suchen.

In Folge dieses Flüchtlingsstroms entschied das Rote Kreuz ein Schiff an den Kopenhagener Hafen zu bringen, das als Unterkunft für die Menschen dienen sollte bis eine Entscheidung über ihre Asylanträge gefällt war. Zu jener Zeit schickten die Menschen Videobotschaften an ihre Verwandten und Freunde Zuhause. Dieses Material hat der Regisseur Vladimir Tomic digitalisiert und zu einer aufschlussreichen Montage verarbeitet. Der Dokumentation zeigt das Leben auf dem Schiff, in den Kabinen, den Gemeinschaftsküchen, beim Tanzen und im Fernsehzimmer, wo viele gespannt die Entwicklungen des Bosnienkrieges verfolgten. Tomic bietet mit seinem Film eine andere Perspektive auf die Lage der Flüchtlinge am Kopenhagener Hafen. Er zeigt Menschen in ihrem Alltag, der nicht nur aus Leid besteht. Dem Regisseur gelingt ein überzeugendes Dokument jener Zeit, da er selbst ein Junge auf diesem Schiff war. Dahingehend hat er den Preis der Leserjury des Tagesspiegels mehr als verdient.

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© Berlinale 2015

Einen anderen Ansatz verfolgt die Dokumentation Hotline. Informativ und eindrucksvoll gibt die Regisseurin Silvina Landsmann dem Zuschauer einen Einblick in die Arbeit der NGO Hotline für Flüchtlinge und Migranten in Tel Aviv. Über vier Monate hat die Kamera das Geschehen in der NGO und ihre Arbeit begleitet.
Seit mehreren Jahren kommen zahlreiche Flüchtlinge aus Afrika über den Sinai nach Israel und suchen nach Schutz. Allerdings erwartet sie dort alles andere als eine gerechte Aufnahme. Zunächst erfolgt nach dem „illegalen“ Überschreiten der Grenze eine Haftzeit von bis zu einem Jahr, da dies als Verbrechen gilt. Die „Infiltranten“ (so die amtliche Bezeichnung) aus Sudan und Eritrea dürfen von der israelischen Regierung nicht abgeschoben werden. Allerdings werden diese auch nicht anerkannt, sie haben kein Recht auf Gesundheitsversorgung, einen Schulbesuch oder eine angemessene Unterbringung. Hinsichtlich dieser Umstände erscheint es nicht verwunderlich, dass die Rückkehrbereitschaft steigt. Das Team der Hotline kämpft für die Rechte der Betroffenen, klärt sie über Möglichkeiten auf und unterstützt sie mit Rechtsbeistand. Zudem betreibt das Team Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit, um Rassismen aus der israelischen Bevölkerung entgegenzuwirken. So sind nicht die Probleme, dass die Menschen „schwarz“ und „keine Juden“ sind, sondern dass sie keine Rechte haben. Eine nachdenklich stimmende Dokumentation, die den Kinosaal in tiefste Dunkelheit taucht.

La nuit et l’enfant / The Night and the Kid. Sektion: Forum. Frankreich / Katar 2015. Regie: David Yon. Buch: David Yon, Zoheir Mefti, Bachar Lamine. Darsteller: Lamine Bachar (Lamine)
Aness Baitich (Der Junge). Sprache: Arabisch. Dauer: 61 Minuten.

Flotel Europa. Sektion: Forum. Dänemark / Serbien 2015. Regie, Buch: Vladimir Tomic. Sprache: Bosnisch. Dauer: 70 Minuten.

Hotline. Sektion: Forum. Israel / Frankreich 2015. Regie, Buch: Silvina Landsmann. Sprache: Hebräisch, Englisch, Französisch. Dauer: 100 Minuten.

 

Petting Zoo – Coming of Age-Film mit einer subtilen Kritik

 

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Bild: Devon Keller © Berlinale 2015

Layla (Devon Keller) ist im letzten High School Jahr und lebt im religiösen US-Bundesstaat Texas in einer der Vorstädte von San Antonio. Sie wohnt mit ihrem ebenfalls minderjährigen Freund Danny (Kiowa Tucker) zusammen, der alles andere als ein ausgeglichenes Leben führt. Danny kifft und geht nicht zur Schule, wohingegen Layla ein Stipendium für das College erhalten hat und neben der Schule jobbt. Nach einem kurzen Streit geht diese Beziehung schließlich in die Brüche. Das Mädchen zieht zu ihrer Grandma (Adrienne Harrel), kümmert sich um sie und betet mit ihr gemeinsam vor dem Abendessen. Die Frage nach Laylas Eltern verflüchtigt sich schnell als das Mädchen bemerkt, dass es schwanger ist. Die 17-Jährige entscheidet sich für eine Abtreibung, doch dafür braucht sie das Einverständnis ihrer pseudoreligiösen Eltern. Die wollen davon nichts wissen und der dominante Vater versucht sie erfolglos zu einem Leben, unter seinem Dach zu zwingen. Die Konsequenz ist schließlich, dass Layla das Stipendium ablehnt und die Schwangerschaft annimmt.
Das Geschehen vollzieht sich in einer kühlen Distanz, wobei dieser Effekt durch die emotionsarmen Figurenreden entsteht. So bleibt Layla ganz ruhig als der Vater ihres Ex-Freundes zu ihr kommt und sie auffordert, Danny mit einer Unterschrift von der Unterhaltspflicht für das erwartete Kind zu befreien. Sie nimmt den Stift, unterschreibt und das war es. Keine Regung im Gesicht, keine Worte der Verzweiflung, sondern nur das Bild von dieser heranwachsenden Frau. Allerdings wird gerade durch diese Umsetzung deutlich, was in den einzelnen Personen vorgehen muss – insbesondere in der Hauptdarstellerin. So fließen die Bilder auf der Leinwand zusammen und verdeutlichen mehr als es Worte können.
Auf diese Weise knüpft die Regisseurin Micah Magee gekonnt mit ihrem ersten Spielfilm an eine tatsächliche Problematik an, denn das texanische San Antonio verzeichnet die zweithöchste Teenager-Schwangerschaftsrate in den USA. Dahingehend versinnbildlicht Laylas Leben die Konsequenzen von fehlendem Sexualkundeunterricht in der Schule und die Predigt sexueller Abstinenz vor der Ehe im Sinne der christlichen Wertvorstellung. Magee, die selbst eine Weile in Texas gelebt hat, gelingt es auf subtile Weise mit sanften Tönen und dem Zusammenspiel der Bilder, die schicksalhaften Folgen für ein so junges Leben aufzuzeigen. Ein Film, der nicht mit dem erhobenen Zeigefinger den Zuschauer belehrt, sondern dessen Sprache die Bilder und Musik sind. Letztlich werden auf diese Weise die Gefühle aus dem Betrachter selbst hervorgeholt.

Petting Zoo. Sektion: Panorama Special. Deutschland / Griechenland / USA 2015. Regie, Buch: Micah Magee. DarstellerInnen u. a.: Devon Keller (Layla), Kiowa Tucker (Danny) und Adrienne Harrel (Grandma). Sprache: Englisch. Dauer: 93 Minuten.

 

 

Squirrel: Fades Bild eines Mädchens, das am Beginn ihrer sexuellen Entwicklung steht

Ein Kurzfilm, der in der Sektion Generation 14plus in den Schatten gestellt wird

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Squirrel / Emma Doxiadi © Anthony Konce

 

Leider kann die Co-Produktion zwischen Griechenland und den USA mit Squirrel in ihren wenigen Minuten nicht überzeugen. Besonders in der Zusammenschau mit den anderen acht Kurzfilmen der Generation 14plus in einer Vorstellung, wird der Film in den Schatten gestellt.

In den sieben Minuten wird ein jungendliches Mädchen (Squirrel) dargestellt, das über ihren Freund und die Liebe zu ihm spricht. Regisseur Tomas Vengris zeichnet mit den Aufnahmen ein konträres Bild zu den Aussagen des Mädchens. In der Nacht läuft sie in knapper Kleidung auf der Straße umher und fragt fremde Männer nach Feuer. Sie sitzt in ihrem Zimmer, das heruntergekommen und trist wirkt. Alles scheint unter einem grauen Schleier zu liegen.Das hier irgendetwas nicht stimmt ist eindeutig. Möglicherweise geht die Handlung in Richtung der Prostitution eines Mädchens, das noch am Beginn der sexuellen Entwicklung steht? Einer Antwort bleibt der Kurzfilm schuldig. Die Irritation des Publikums spiegelt sich in dessen Reaktion nach dem Film wieder, indem zaghaft und verhalten beim Abspann geklatscht wird.

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Coach / Conner Chapman © Fluxus Films

Ganz anders ist die französische Produktion Coach von Regisseur Ben Adler.Vater und Sohn reisen von England nach Paris, um beim Länderspiel zu zuschauen.

Nach einer Panne mit ihrem Auto werden die beiden von einem Bus voller Männer, die ebenfalls englische Fans sind, mitgenommen. Der Sohn ist zunächst begeistert von den Parolen und den Liedern im Bus. Als der Junge die Radikalität dieser Menschen begreift, macht er eine spannende Entwicklung durch. Ein gelungener Kurzfilm, der die Beeinflussbarkeit der Jugend, aber auch ihre Wandelbarkeit zeigt. Dahingehend ist es nicht verwunderlich, dass der Film den Spezialpreis der Internationalen Jury von Generation 14plus erhalten hat.

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Oscar Wilde’s The Nightingale and the Rose © Berlinale 2015

Eine weitere eindrucksvolle Vorstellung liefert der Kurzfilm The Nightingale and the Rose nach Oscar Wildes gleichnamigen Kunstmärchen. Dieses wird durch die fantastischen Bilder der Künstlerin Del Kathryn Barton erzählt, die den Zuschauer in eine Welt des Traumes ziehen.

 

Benannte Kurzfilme der Generation 14plus
Squirrel. Griechenland / USA 2014. Regie, Buch: Tomas Vengris. DarstellerInnen: Emma Doxiadi (Squirrel), Stephen Nathaniel Jean (Katze), Andrius Morrison (Mann). Sprache: Englisch. Dauer: 07 Minuten.

Coach. Frankreich 2014. Regie, Buch: Ben Adler. Darsteller u. a.: Conner Chapman (Sohn), Stuart McQuarrie (Vater). Sprache: Englisch. Dauer: 14 Minuten.

Oscar Wilde’s The Nightingale and the Rose. Australien 2014. Regie: Del Kathryn Barton, Brendan Fletcher. Buch: Del Kathryn Barton, Brendan Fletcher, nach einem Marchen von Oscar Wilde. Stimmen u. a.: Mia Wasikowska (Nachtigall), Benedict Samuel (Student). Sprache: Englisch. Dauer: 14 Minuten.

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