Bild: Yumna Marwan © Abbout Productions

Berlin: Von Evdokia Prassa.

Ein Mann mit Amnesie wird von einer Gruppe verdächtigt wirkender Personen aufgenommen. Der neuste Film des libanesischen Regisseurs Ghassan Salhab ist ein Drama über das prekäre Leben in seinem Heimatland.
Der libanesische Hauptdarsteller, Carlos Chahine, spielt einen Mann, der nach einem Autounfall irgendwo mitten in den Bergen Libanons sein Gedächtnis verliert. Während er verletzt in der Gegend umherwandert, begegnet er einer Gruppe, deren Auto eine Panne hat. Sie fragen den gutbetucht wirkenden Fremden, wer er ist und wo er herkommt. Allerdings ist er unfähig, ihre Fragen zu beantworten. Schließlich hilft er ihnen dabei, den liegengebliebenen Wagen wieder in Gang zu bringen. Ein wenig widerwillig entscheidet sich die Gruppe als Dank den Fremden mitzunehmen. Sie fahren mit dem Mann zu ihrem Bauernhof in der Beqaa-Ebene, dessen Pforte und Gelände durch bewaffnete Sicherheitsleute bewacht werden. Anschließend wird den Zuschauern enthüllt, dass der Bauernhof lediglich als Tarnung für einen Kokainlabor dient. Dort ruft die Anwesenheit des Mannes Spannungen hervor. Die anfängliche Unsicherheit der Drogenproduzenten hinsichtlich der Identität des Fremden wandelt sich in zunehmendes Unbehagen. Leidet er wirklich unter Amnesie, oder ist er ein Spion? Als der Fremde einen erfolglosen Fluchtversuch unternimmt, sind sie von der zweiten Version überzeugt und machen ihn zur Geisel. Letztlich wird diese Gefangenschaft durch den Ausbruch des Krieges in der Region beendet.

Bild: Yumna Marwan    © Abbout Productions
Bild: Yumna Marwan © Abbout Productions

Ist das Breaking Bad in Nahost? Salhabs Film ist viel mehr. Mit Al-Wadi nähert sich der Regisseur dem Themenbereich des Nahostkonflikts mit besonderer Sensibilität an, wodurch er tief in die Problematik eindringt. Auf diesem Weg bringt er seine Sorgen um die Zukunft Libanons und der weiteren Region zum Ausdruck. Zugleich vermittelt er seine emotionale Verbundenheit zur dortigen Landschaft. Dieses erreicht Salhab durch den Kontrast zwischen kinematographischen Lyrismus und Realismus: Al-Wadi stellt die nahezu ideale Visualisierung der Natur dar, die an japanische Haiku Gedichte erinnert. Wobei die Bilder oft von störenden und bedrohlichen Elementen kontaminiert werden, beispielsweise das Durchfahren eines ruhigen Tals durch militante Dschihadisten. Der Höhepunkt dessen ist die rustikale Landschaft, welche sich zu einer apokalyptischen Szenerie wandelt. Auf diese Weise stellt Salhabs Film keine Beschönigung des Krieges dar. Der Regisseur, der die Ereignisse des Libanonkriegs 2006 miterlebt hat, veranschaulicht viel mehr die Realität eines streng bewachten Landes, das zwischen Ost und West oszilliert und von Kriegsgebieten (Syrien, Israel) eingekreist ist.
Dort, wo die Identität durch Kriege geprägt wird, ist das Vergessen kein Ausweg. Al-Wadi ist ein sensibler, philosophischer und sehenswerter Film.
Al-Wadi. Sektion: Forum. Libanon / Frankreich / Deutschland / Katar 2014. Regie, Buch: Ghassan Salhab. DarstellerInnen u. a.: Carlos Chahine (Mann mit Unfall), Carole Abboud (Carole) und Fadi Abi Samra (Marwan). Sprache: Arabisch. Dauer: 128 Minuten.

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