Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und des griechischen Ministerpräsidenten Georgios Papandreou *
Berlin, 22.02.2011
Bundeskanzlerin Merkel:
Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass der griechische Premierminister Georgios Papandreou heute bei uns zu Gast ist. Das gibt uns die Möglichkeit, über die anstehenden europäischen Ereignisse zu sprechen.
Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass aber einige Worte zu der Situation in Libyen sagen, die natürlich auch Gegenstand unseres Gesprächs war. Griechenland ist ja unmittelbarer Nachbar sowohl Ägyptens als auch Libyens und deshalb natürlich auch sehr von dem betroffen, was dort vor sich geht. Die Nachrichten, die wir sowohl gestern als auch heute aus Libyen bekommen haben, sind in höchstem Maße beunruhigend. Die Rede von Oberst Gaddafi am heutigen Nachmittag war sehr, sehr erschreckend – insbesondere, weil er quasi seinem eigenen Volk den Krieg erklärt hat. Wir sagen ganz ausdrücklich, dass wir die libysche Regierung auffordern, sofort und sehr konsequent aufzuhören, Gewalt gegen die eigenen Menschen anzuwenden. Wenn diese Gewaltanwendung nicht gestoppt wird, dann wird sich Deutschland auch dafür einsetzen, dass wir alle Möglichkeiten anwenden, um Druck und Einfluss auf Libyen auszuüben, inklusive dessen, dass wir dann auch über Sanktionen gegenüber Libyen sprechen werden. Wir glauben, dass die dortige Situation zutiefst besorgniserregend ist. Deshalb ist es auch richtig, dass sich der UN-Sicherheitsrat damit befasst.
Natürlich hat für uns wie für alle Länder neben der Tatsache, dass wir keine Gewalt gegen die Bürgerinnen und Bürger Libyens wollen, auch die Sicherheit unserer eigenen Bevölkerung oberste Priorität. Wir haben Hunderte von Menschen in Libyen, und es wird alles unternommen ‑ dazu hat der Außenminister heute ja auch Stellung genommen ‑, um die Sicherheit dieser Personen zu gewährleisten.
Ansonsten ist unser Thema heute Europa gewesen. Wir haben über die Situation in Griechenland gesprochen und werden das gleich auch fortsetzen. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass die griechische Regierung eine Vielzahl von Anstrengungen unternommen hat, die Griechenland auf einen sehr viel fortschrittlicheren Kurs gebracht haben, die allerdings auch schmerzhafte Reformen für die Bevölkerung waren. Ich glaube, dass der griechische Premierminister und seine ganze Regierung den großen politischen Willen bewiesen haben, Griechenland auf einen nachhaltigen Entwicklungspfad zurückzuführen. Das verdient unsere Anerkennung.
Griechenland hat sich in einer Vielzahl von Fragen verpflichtet. Die Tatsache, dass die internationalen Institutionen ‑ die Europäische Zentralbank, die Kommission und auch der IWF ‑ dafür eintreten, dass die Tranchen des Programms ausgezahlt werden, zeigt, dass diese Verpflichtungen erfüllt werden. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass Griechenland diesen Weg auch fortsetzen und damit seinen Beitrag dazu leisten wird, dass der Euro insgesamt eine stabile Währung ist. Wir sind uns ja einig, dass wir für die Stabilität des Euro als ganzem immer wieder auch gemeinsam in der Europäischen Union, aber insbesondere unter den Euro-Mitgliedstaaten eintreten.
Wir werden am Freitag, den 11. März, ein informelles Treffen der Eurogruppe und am 24. und 25. März einen Rat abhalten. Bei beidem geht es uns von deutscher Seite aus ‑ darüber herrscht aber auch Übereinstimmung ‑ um ein Gesamtpaket dessen, was jetzt noch zu tun ist. Sie wissen: Wir wollen eine begrenzte Vertragsänderung. Wir wollen einen dauerhaften Stabilitätsmechanismus. Wir müssen deutlich machen, dass alle ihre Verpflichtungen erfüllen und dass der EFSF handlungsfähig ist. Wir müssen auch die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes abschließend gemeinsam beschließen; das bedeutet, dass natürlich auch mit den Parlamenten in Europa geredet werden muss.
Wir haben uns vorgenommen, deutlich zu machen, dass wir auch politisch zusammenwachsen wollen. Das heißt, dass natürlich nicht nur der Stabilitäts- und Wachstumspakt wichtig ist, sondern dass die Frage der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Mitgliedstaaten ein zentraler Punkt ist. Dazu werden wir am 11. März auch erste Vorschläge unterbreiten. Natürlich werden dann noch nicht alle Vorschläge auf dem Tisch liegen, aber ich freue mich, dass wir insgesamt daran arbeiten können. Europa steht nämlich auch in einem internationalen Wettbewerb, und wir müssen schauen, dass wir, um den Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger in unseren Ländern zu sichern, auch international wettbewerbsfähig sein müssen.
Wir haben auch eine deutsche-griechische Partnerschaft ins Leben gerufen. Als der griechische Ministerpräsident vor knapp einem Jahr zum letzten Mal hier war, haben wir verabredet, dass wir in vielen Bereichen zusammenarbeiten wollen. Diese Zusammenarbeit ist in Gang gekommen. Ich glaube, dass Deutschland damit auch einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, dass Griechenland dort, wo es noch stärker werden muss, Hilfe vonseiten Deutschlands bekommt.
Insgesamt, glaube ich, hat Europa in diesem Jahr gezeigt ‑ das waren für niemanden leichte Monate ‑, dass wir eine politische Verpflichtung für die Stabilität des Euro haben, dass dies uns alle gleichermaßen angeht und dass jeder dafür auch seinen Beitrag leisten muss. In diesem Sinne werden wir auch weiterhin unsere Politiken abstimmen. – Noch einmal herzlich willkommen hier in Berlin!
Ministerpräsident Papandreou:
Dankeschön, Angela! – Zunächst einmal möchte ich der Bundeskanzlerin zustimmen, was die Entwicklung in den Maghreb-Staaten, aber auch die Entwicklung in den Staaten des südlichen Mittelmeers insgesamt angeht. Wir haben natürlich auch über diese Entwicklung gesprochen, also das, was sich in Nordafrika und im Nahen Osten ereignet hat. Einfach aufgrund der Geographie, aber auch aufgrund historischer Verbindungen hat Griechenland eine sehr wichtige Rolle in dieser Region zu spielen. Schon aufgrund der Ereignisse in Libyen sind wir zum Beispiel an Evakuierungsmaßnahmen für eine ganze Reihe von Bürgern aus einer ganzen Reihe von Staaten beteiligt, die dann über Kreta wieder in ihre Heimatländer zurückkehren können.
Wir sind gegen jede Form von Gewaltanwendung gegen Zivilisten. Wir bedauern das, was in Libyen passiert ist, sehr. Das wird auch auf jeden Fall nicht die Veränderungen und die Reformen, die ja notwendig sind, mit sich bringen. Diese Reformen entsprechen ja den Wünschen der Bevölkerung in der Region. Viele Staaten in der Region sehen sich zurzeit tumultähnlichen Zuständen ausgesetzt. Es gibt natürlich auch kleinere Revolutionen und größere Revolutionen; die Umstände sind jeweils einzigartig. Wir kennen die Umstände. Griechenland ist Teil dieser Region. Griechenland ist auch Teil Europas. Wir arbeiten für Europa in Europa und für Stabilität in der gesamten Region wie auch für grundlegende Reformen.
Wir müssen mutig sein. Wir müssen entschlossen seien. Wir müssen uns auch überlegen: Wie kann man das Problem insgesamt angehen? Wie kann man an der Seite der Völker Nordafrikas und des Nahen Ostens stehen? Wie kann man ihnen helfen, im Grunde genommen alles zu verändern, ihre Gesellschaft zu verändern, ihre Politik zu verändern, ihre Wirtschaftssysteme zu verändern? – Das sind Veränderungen, die die Menschen dort selbst angestoßen haben und auch verwirklichen werden. Europa hat hierbei eine wichtige Rolle zu spielen und ein großes Interesse daran, dass es dort eine Veränderung gibt, die zur Demokratie hinführt. Wir werden den Erwartungen gerecht werden, die man an uns stellt. Wir werden unseren Teil dazu beitragen.
Bezüglich der Finanzthemen möchte ich hier noch einmal wiederholen, dass ich in der Tat vor etwa einem Jahr hier war. Ich habe mich damals mit Ihnen, Angela, getroffen, und seitdem ist vieles passiert. Damals hat Griechenland am Rande des Abgrunds gestanden, am Rande des Bankrotts. Wir haben damals gemeinsam wichtige Entscheidungen in Europa getroffen. Diese Entscheidungen haben uns den nötigen zeitlichen Spielraum und auch die nötigen Ressourcen gegeben, um unser Land zu retten, aber auch, um einen völlig anderen Kurs einzuschlagen, einen Kurs, der unsere Wirtschaft überlebensfähig macht. Die Rolle Deutschlands war in diesem Zusammenhang unerhört wichtig. Die Solidarität, die uns die deutsche Bevölkerung gezeigt hat, war absolut unverzichtbar.
Wir haben uns unsererseits dazu verpflichtet, unser Haus in Ordnung zu bringen und Veränderungen durchzuführen, die schon längst überfällig waren. Wir haben das, denke ich, erfüllt. Wir werden das auch in Zukunft tun. Dies sind Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, die für die Zukunft Europas wichtig sind, die aber auch für die Zukunft unseres eigenen Volkes wichtig sind. Wir haben das Defizit innerhalb eines Jahres um 6 Prozentpunkte unseres Bruttoinlandsproduktes reduzieren können. Wir haben eine völlig grundlegende Rentenreform durchgeführt und haben unser Rentensystem zu einem der lebensfähigsten in Europa gemacht. Auch unser Steuersystem haben wir reformiert, um es sozial gerechter zu gestalten und um die Steuerflucht anzugehen. Wir haben Haushaltsreformen und Reformen im Bereich der öffentlichen Verwaltung durchgeführt, um auf diese Weise die Ausgaben unter Kontrolle zu bringen und die Entscheidungsprozesse zu beschleunigen. Wir haben all diejenigen Berufe, die bisher nach außen hin verschlossen waren, geöffnet. Wir haben unseren Arbeitsmarkt geöffnet, vor allen Dingen für junge Leute, und haben versucht, auch jungen Leuten Arbeitsplätze zu verschaffen.
Wir wissen, dass dies ein Marathon ist, aber wir haben diesen mit einem Sprint begonnen. Das ist nicht einfach für das griechische Volk. Wir haben dem griechischen Volk große Opfer abverlangt. Ich darf vielleicht noch einmal deutlich machen, dass die griechische Bevölkerung natürlich willens ist, einen großen Beitrag für die Stabilität Europas, aber auch für die Zukunft Griechenlands zu leisten. Eine Sache ist auf jeden Fall sicher: Wir werden dann Erfolg haben, wenn das griechische Volk auch weiterhin davon überzeugt sein wird, dass sein Opfer nicht umsonst ist und dass es dazu führen wird, dass es ein gerechteres, ein stärkeres, ein neues Griechenland geben wird, das dann daraus hervorgehen wird. Dieses neue Griechenland ‑ davon sind wir überzeugt ‑ wird aus diesen Bemühungen hervorgehen.
Dies war auch ein Jahr, in dem uns allen, glaube ich, klar geworden ist, dass sich auch Europa einer europäischen Herausforderung gegenübersieht. Hierbei geht es um unsere gemeinsame Währung, den Euro, unser gemeinsames Schicksal. Es geht darum, dass wir die Regeln neu gestalten müssen und unsere wirklich großartige Leistung vervollkommnen müssen, nämlich eine echte Wirtschafts- und Währungsunion, die uns auf den internationalen Märkten tatsächlich wettbewerbsfähiger macht und Beschäftigung schafft. Wenn wir alle unser Haus in Ordnung und unsere Finanzen unter Kontrolle halten, dann werden auch unsere Finanzsysteme tatsächlich auf die Notwendigkeiten und Bedürfnisse unsere Wirtschaftssysteme reagieren, nicht umgekehrt.
Dafür es ist notwendig, dass wir unsere Wirtschaftssysteme stark machen, und das werden wir dann im März, wenn wir unseren gemeinsamen Rat durchführen werden, auch so verkünden. Das ist ein Gesamtpaket, das Angela hier gerade angesprochen hat und das sich natürlich auch mit all diesen Themen beschäftigen wird. Dieses heutige Treffen gibt mir und Angela die Gelegenheit, noch einmal genauer auf diese Themen einzugehen und diese Diskussion weiter voranzutreiben.
Angela, ich darf dir sehr herzlich für das danken, was du persönlich getan hast, um eine gemeinsame, neue europäische Architektur zu schaffen, die es uns erlaubt, mit diesen neuen Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen, fertig zu werden. Danke für deine Unterstützung, für deine Freundschaft und für die Gastfreundschaft, die ich hier immer erfahre. Wie Angela es auch gesagt hat, pflegen wir eine sehr eng bilaterale Zusammenarbeit im Bereich des Tourismus, im Bereich der Gesundheit, im Bereich der grünen Technologien und im Bereich grüner Entwicklungen unserer Umwelt und der Forsten. Dafür danke ich ebenfalls sehr herzlich.
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Frage:
Frau Bundeskanzlerin, wie schätzen Sie den Reformkurs, den die griechische Regierung bis jetzt eingeschlagen hat, ein?
Wenn ich etwas hinzufügen darf: In der deutschen Bevölkerung ist die Angst weit verbreitet, dass letzten Endes der deutsche Steuerzahler für die Schulden der Griechen zahlen wird. Ist diese Angst berechtigt, und was tun Sie dagegen?
Bundeskanzlerin Merkel: Ich kann gerne wiederholen, was ich schon gesagt habe: Griechenland hat damit begonnen, wie es der Premierminister eben genannt hat, sein Haus in Ordnung zu bringen. Das verfolgen wir sehr wohl. Das bekommen natürlich auch die Menschen in Deutschland mit. Ich glaube, das hat auch eine bestimmte Wirkung entfaltet. Denn wir sehen natürlich, dass dieser Weg nicht einfach ist und dass er politischen Mut erfordert. An der Vielzahl von Streiks und Protesten kann man ja auch erkennen, dass es dabei eine Vielzahl von Widerständen gibt. Deshalb denke ich, dass viele Menschen in Deutschland der Überzeugung sind, dass Griechenland auf dem richtigen Weg ist. Aber es bleibt eben auch noch einiges zu tun. Je beständiger dieser Weg fortgesetzt wird, wie es der Premierminister ja eben auch gesagt hat, umso mehr wird auch in Deutschland die Glaubwürdigkeit wachsen, um zu sagen: Ja, Griechenland wird diesen Weg erfolgreich gehen.
Außerdem gibt es in Deutschland auch das Wissen, dass wir alle eine gemeinsame Währung teilen, dass Deutschland durch die Euro-Währung auch viele Vorteile hat, dass unsere Exportmärkte ganz wesentlich, nämlich zu fast zwei Dritteln, in Europa liegen und dass es deshalb auch unser gemeinsames Interesse ist, dass wir einen stabilen Euro haben. Wir haben im letzten Jahr auch verstanden, dass man nicht sagen kann “Bei uns ist der Schuldenstand okay, bei anderen ist er höher, und nun lassen wir sozusagen jeden einmal für sich arbeiten”, sondern dass wir in dieser Frage eines stabilen Euro alle aufeinander angewiesen sind. Die Deutschen wissen auch, was sie an dem Euro an Stärke haben, und das zählt, glaube ich.
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Frage:
Frau Bundeskanzlerin, der griechische Ministerpräsident hat gestern zum wiederholten Male gefordert, dass sein Land bei der Schuldenrückzahlung entlastet werden müsse. Sehen Sie diese Notwendigkeit, Griechenland in Bezug auf die Schuldenlast zu helfen ‑ durch Zinsabschläge oder andere Mittel ‑, auch? Wenn ja, wodurch?
Herr Ministerpräsident, ich habe eine Frage an Sie. Wir haben gehört, dass es viel Kritik an dem Wettbewerbspakt gibt, den Deutschland und Frankreich vorgeschlagen haben. Haben Sie mit dieser Idee des Wettbewerbspakts auch Probleme?
Bundeskanzlerin Merkel: Es ist so, dass wir immer von einem Gesamtpaket sprechen. Wir haben jetzt folgende Situation: Die griechischen Hilfsmaßnahmen sind auf drei Jahre befristet. Im Zusammenhang mit Irland gibt es eine längere Periode, nämlich sieben Jahre. Es ist durchaus in der Diskussion, ob wir überlegen ‑ das kann aber nur im Zusammenhang mit allen anderen Maßnahmen entschieden werden ‑, die Laufzeit auch des griechischen Programms zu verlängern. Aber darüber ist noch nicht entschieden worden, sondern das ist ein Punkt, der im Rahmen des Gesamtpakets auf dem Tisch liegt.
Ministerpräsident Papandreou: Vielleicht darf ich auch auf die vorangegangene Frage antworten. Wir haben ja, was unsere Schulden und die Frage der Schuldentragfähigkeit angeht, natürlich auch eben deswegen ein Programm aufgelegt – ein ziemlich schwieriges Programm, aber ein Programm, bei dem wir auf Kurs sind. Wir wollen die notwendigen Reformen anstoßen. Wir wollen die griechische Wirtschaft wettbewerbsfähig, lebensfähig machen. Wir wollen, dass sie wächst. Wir wollen das Defizit reduzieren. Dadurch, dass wir das Defizit reduzieren, und durch das Wachstum werden wir dann auch in der Lage sein, systematisch unsere Schulden abzubauen. Also kann ich nur ganz klar sagen: Wir werden nicht dem deutschen Steuerzahler eine zusätzliche Bürde auferlegen. Wir haben ein Darlehen aufgenommen. Wir werden das mit Zinsen zurückzahlen und zurückgezahlt haben, wenn das Programm ausgelaufen sein wird. Das ist für uns eine Frage der Glaubwürdigkeit und auch eine Frage dessen, ob wir das notwendige Vertrauen schaffen können, sowohl, was das Vertrauen unter unseren europäischen Partnern angeht, als auch, was das Vertrauen auf internationaler Ebene angeht. Das wird so weitergehen.
Teil der Probleme in Griechenland sind ja nicht nur die Schulden und das Defizit, sondern einfach auch die Tatsache, dass die Griechen keine wettbewerbsfähige Wirtschaft hatten. Wir waren keine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Wir haben sehr viel mehr gekauft als wir verkauft haben, wenn man es einmal auf einen ganz einfachen Nenner bringen will. Deswegen ist es so, dass die Reformen, die wir anstoßen wollen, einfach darauf abzielen, dass man diese Wirtschaft wettbewerbsfähiger machen will, dass man den gesamten Arbeitsmarkt öffnen will, dass man die Leute dazu bringt, mehr zu investieren, dass man die Bürokratie abbaut, dass man Dinge transparenter gestaltet, dass man ein Steuersystem auflegt, das viel effizienter, viel transparenter und auch klarer ist, und dass natürlich auch die öffentlichen Mittel in einer Weise verwendet werden, die der Wirtschaft dabei helfen, zu wachsen und lebensfähiger zu werden.
Ich denke, dass viele dieser Dinge ‑ wenn nicht fast alles von dem, was in dem deutsch-französischen Papier zur Wettbewerbsfähigkeit und zum Wettbewerbspakt geschrieben wurde ‑ bereits in unserem Programm enthalten sind.
Was die Wettbewerbsfähigkeit angeht, bin ich der Ansicht, dass wir auch in Qualität investieren müssen. Wir werden dann wettbewerbsfähig sein, wenn wir Qualität produzieren. Deswegen ist Innovation wichtig, Bildung ist wichtig, und Infrastruktur ist natürlich auch wichtig, damit wir unseren gemeinsamen Markt direkt untereinander verbinden können – durch Transportwege, durch Breitbandinvestitionen und natürlich durch grünes Wachstum, eine grüne Wirtschaft. Wir beginnen in Griechenland ja gerade, sehr nachdrücklich in erneuerbare Energien und Ähnliches zu investieren. All dies wird die Wettbewerbsfähigkeit Europas ergänzen.
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Frage:
Herr Ministerpräsident, bevor Sie in Berlin eingetroffen sind, hat eine Gruppe namhafter Ökonomen ausgerechnet, dass Ihre Regierung trotz aller Anstrengungen, die Sie unternehmen, nach 2013 einen noch größeren Schuldenstand als heute haben wird und dass es ein großes Problem geben wird, sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Glauben Sie, dass Sie am Ende um einen “haircut”, einen Schuldenschnitt, umhinkommen? Lässt sich das nur vermeiden, indem das eben angesprochene Programm verlängert wird, wie die Kanzlerin es sagte?
Ministerpräsident Papandreou: Ich will mich noch einmal wiederholen: Wir haben dieses ganze Programm ja auf der Grundlage aufgelegt, dass wir versuchen wollen, glaubwürdig zu sein ‑ glaubwürdig gegenüber den Märkten und glaubwürdig gegenüber unseren Gläubigern ‑ und deswegen eben nicht einen so genannten “haircut” oder eine Umstrukturierung durchzuführen. Wenn das Defizit dann immer noch da ist ‑ ‑ ‑ Man muss ja sagen: Wir haben immerhin ein um 6 Prozentpunkte geringeres Defizit. Es ist natürlich immer noch hoch. Wir führen es weiterhin herunter, und das wird uns dann hoffentlich eben auch erlauben, den Schuldenstand weiter zu reduzieren, wenn wir dann einen Überschuss erwirtschaftet haben. Das ist Teil des Programms. Wir wissen, dass die Schulden ansteigen würden ‑ das wussten wir vorher ‑, bevor sie sinken würden. Das ist nichts Neues. Das ist Teil des Programms, natürlich im Rahmen eines Gesamtprogramms, mit dem wir ein Gefühl der Sicherheit für Europa und ein Gefühl der Stabilität vor allen Dingen für die Eurozone schaffen wollen und mit dem wir vor allen Dingen auch die Überlebensfähigkeit des Euro stärken wollen. Das wird das Klima natürlich insgesamt verbessern. Es gibt unterschiedliche Ideen dazu, wie man mit dem Schuldenstand umgeht, aber das schließt nicht den sogenannten “haircut”, also einen Schuldenschnitt, ein.
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Frage:
Frau Merkel, wird es rechtzeitig eine allgemeine Lösung aller Probleme Europas geben? Dies sage ich, weil Sie wissen ‑ natürlich auch aufgrund von Stimmen innerhalb der Bundesrepublik selbst ‑, dass Sie agieren, indem Sie die interne, innerdeutsche Problematik vor Augen haben. Sie haben zumindest jetzt gerade nicht Europa vor Augen.
Ich habe eine andere Frage an den griechischen Ministerpräsidenten. Frau Merkel hat vorhin gesagt, dass noch vieles getan werden müsse. Was meint Sie? Meint Sie damit, dass Sie als Regierung weitere Maßnahmen in Griechenland ergreifen müssen? In welche Richtung sollten diese Maßnahmen gehen?
Bundeskanzlerin Merkel:
Ich will nur, um mich selbst zu interpretieren, sagen: Ich meinte, dass Griechenland weiterhin das abarbeiten wird, was Teil des Programms ist, das vereinbart worden ist. Dieses Programm ist ja im Januar oder Februar 2011 nicht zu Ende gegangen, wenn ich recht informiert bin. Insofern meinte ich nichts weiter und keine zusätzlichen Maßnahmen.
Zweitens. Wenn ich nur die deutsche Gemengelage im Auge hätte, dann würde ich mich ja gar nicht so intensiv und so viel mit all diesen Fragen beschäftigen. Nur weil ich eine Europäerin bin, weil ich weiß, dass wir alle aufeinander angewiesen sind, und weil ich weiß, dass, wenn es uns allen gut geht, wir auch den besten Wohlstand für alle Menschen haben ‑ sowohl in Deutschland als auch in Griechenland ‑, beschäftige ich mich mit der Frage, wie wir einen permanenten Krisenmechanismus erreichen können, wie wir den Stabilitätspakt besser einhalten können und wie wir mehr Wettbewerbsfähigkeit bekommen können. Das heißt also, mein Wirken ist natürlich zum Teil eines als deutsche Bundeskanzlerin, aber eine deutsche Bundeskanzlerin ist immer Europa und auch all seinen Mitgliedstaaten verpflichtet.
Ansonsten würde ich viele Dinge gar nicht tun, aber ich tue sie aus Überzeugung, weil wir glauben, dass auch, wenn wir eine große Volkswirtschaft sind, man heute allein mit 80 Millionen Menschen und guten Wirtschaftszahlen seine Interessen in der Welt nicht mehr gut vertreten kann, und weil wir zutiefst davon überzeugt sind, dass 500 Millionen Europäer in den Fragen, die uns wichtig sind ‑ angefangen mit den Grundwerten Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit und der Würde des einzelnen Menschen bis hin zu der Frage von Klimaschutz, offenem Handel, freiem Handel und der Regulierung der Finanzmärkte ‑, kein Gewicht hätten, wenn wir nicht eine europäische Stimme hätten. Diese europäische Stimme kann nur aus der Summe aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union entstehen. Das ist Teil meiner Arbeit, und deshalb arbeiten wir auch zusammen. Deshalb ist die Sorge des einen auch die Sorge des anderen. So ist das in einem zusammenwachsenden Europa.
Papandreou:
Dem kann ich eigentlich nur hinzufügen: Es gibt keine besonderen, zusätzlichen Maßnahmen. Wir haben ja ein sehr klares Programm aufgelegt, und darin wird auch sehr detailliert ausgeführt, was wir tun müssen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht noch mehr zu tun haben. Zum Beispiel ist es so, dass wir bei der Steuerhinterziehung effizienter vorgehen müssen. Das ist auch Teil unseres Programms; wir wollen das ja tun. Das müssen wir einfach auch tun, um unserer Schulden, unseres Defizits Herr zu werden. Wir müssen unser Bildungssystem zu ändern; das wird eine große Reform werden. Wir müssen unser Gesundheitssystem viel effizienter und viel transparenter gestalten. Wir müssen unsere Landwirtschaft umorganisieren, um dafür zu sorgen, dass unsere landwirtschaftlichen Produkte wettbewerbsfähig sind, und das können wir. Die griechische Landwirtschaft ist in einer ganz besonders positiven Lage ‑ sowohl, was die gesamte Mittelmeerregion angeht, als auch, was unsere Aussichten angeht ‑, und die Aussichten für das nächste Jahr werden noch viel besser als die für das letzte Jahr sein. Es gibt auch neue Möglichkeiten für Landwirtschaftstourismus und für grünen Tourismus. All das wird sehr wichtig für unser Wachstum und unsere Weiterentwicklung sein und uns eben auch dabei helfen, unserer Schulden Herr zu werden.
Was auch sehr wichtig ist, ist, dass man wirklich das Gefühl hat, dass so etwas wie soziale Gerechtigkeit verwirklicht wird und dass auch Rechtstaatlichkeit verwirklicht wird. Das ist in den letzten Jahren verloren gegangen. Das ist, denke ich, für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ganz besonders wichtig. Ja, wir sind auf dem richtigen Kurs. Es gibt keinen neuen Maßnahmen, aber (die beschlossenen Maßnahmen) sind Maßnahmen, die Griechenland überlebensfähiger, gerechter, transparenter und wettbewerbsfähiger machen werden. Sie werden es uns erlauben, dass wir Beschäftigung und Wohlstand für unsere Bevölkerung schaffen. Das ist auch wichtig für Europa.
Weil Sie hier diese Frage bzw. diesen Eindruck erwähnt haben, was die Deutschen, ihre Regierung und ihre Haltung uns gegenüber angeht: Im letzten Jahr, Angela, hätte, denke ich, niemand eine Prophezeiung in Richtung dessen aussprechen können, was sich nun in der Zwischenzeit vollzogen hat. Ich glaube, dass wir in der Zwischenzeit gelernt haben, dass wir innerhalb dieser Europäischen Union alle sehr viel enger miteinander verbunden sind und dass unsere Zukunft viel stärker etwas ist, das wir durch engere Zusammenarbeit gestalten können. Das ist etwas, das Angela in den vergangenen Monaten immer wieder gesagt hat. Das müssen wir alle verstehen. Denn schließlich und endlich ist das ja keine Schwäche von uns, sondern es ist unsere Stärke.
Ich glaube, wir haben in Europa große Fähigkeiten und große Möglichkeiten. Je mehr wir zusammenarbeiten, umso mehr wird es so sein, wie Angela es sagte, nämlich dass wir große Herausforderungen auch wirksam meistern können. Das kann so etwas wie die Finanzkrise, den Klimawandel, die Fragen der Nahrungsmittelversorgung, vielleicht zukünftige Krisen in diesem Bereich oder die Herausforderung betreffen, der wir uns jetzt im südlichen Mittelmeerraum, in den Maghreb-Staaten, in den arabischen Staaten und in Nordafrika gegenübersehen, nämlich diesen Ländern auf dem Weg zur Demokratie zu helfen. Dort haben wir als Europäer ja unsere Stärken.
Deswegen kann ich nur noch einmal deutlich machen, wie dankbar ich Angela für das bin, was sie getan hat, um diese neue Architektur in Gang zu bringen, die es Europa erlaubt, diese verschiedenen Herausforderungen wirksam zu meistern.
* Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung
Foto: www.papandreou.gr