Von: Walter Bachsteffel

 

Stille! Endlich Ruhe! Vorbei ist der Lärm der zum Schiff hastenden Pilger, alle Handys schienen gleichzeitig zu klingeln. Das Horn der Panteleimon ruft Verspätete dröhnend an Bord. Auch der Omnibus hinauf in die Hauptstadt eines Phänomens, nach Karyes, wird eher gestürmt als bestiegen. Ein Phänomen, überliefert aus alten Zeiten, wo sich Mönche dem entbehrungsreichen geistlichen Dienst an der Panagia, der Mutter Gottes verschrieben. Einer dieser Mönche, mein Freund der Eremit, erwartet mich in Karyes, auch er scheint überrascht vom Ansturm der Pilger.

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Alles vergessen. Ich höre wieder das Tosen des Meeres tief unter mir und den Gesang der Vögel. Ab und zu fährt ein Windstoß in die Bäume und lässt die Blätter rauschen. Wenn ich den Blick hebe, fällt er auf das festungsartige Kloster Stavronikita, drehe ich mich um, erblicke ich Kloster Pantokrator. Über allem steht majestätisch der Heilige Berg Athos. 2033 m erhebt sich der Marmorkegel in den strahlendblauen Himmel. Ein ruhiges Gespräch darüber, was seit dem letzten Besuch passiert, welche Ikone derzeit in Arbeit ist, wie halt die Dinge so stehen. Kaffee, Süßigkeiten und ein Schluck Tsipouro dürfen dabei natürlich nicht fehlen. Zum Abendessen der köstlichste Rotwein, den ich kenne, gekeltert von Vater Zosimas. Das Leben ist schön.

In der Nacht schlägt das Wetter, w03 Lawraie so oftam Athos um. Unsicherheit am Morgen. Die halbe Nacht brüllte die Brandung gegen  die felsige Küste, heulte der Wind. Tatsächlich: Die Küstenwache garantiert die Fahrt des  Schnellbootes, auf dem ich einen Platz in die Lawra reserviert hatte, nur teilweise von Jerissos bis Vatopaidi. Von dort müsse neu entschieden werden. Tendenz: Negativ.

 

Die Reise ans Ende der Welt, zumindest des Athos, beginnt also in Karyes. Vater Evthymios lädt den klimatisierten Mercedes Sprinter voll, sein alter Unimog mit der Nummer AO 13 hat wohl schon lange schlapp gemacht. Für mich findet er auch ein Plätzchen. Die Strasse in die Große Lawra ist auch seit dem letzten Male nicht besser geworden, die Menge an Staub hat nicht nennenswert abgenommen. Mit zunehmendem Alter gehen auch bei mir einige hehre Regeln wie Verzicht aufs Auto – wo es möglich ist – über Bord. Der Weg ist aber auch gar zu weit. Lang ist es her, dass ich diese Strecke zuletzt fuhr. Waren die Schlaglöcher auch damals schon so zahlreich?

 

 15 lawraDie Große Lawra taucht auf. Ein Wiedersehen mit dem größten und ältesten Athos-Kloster. Viele Jahre sind vergangen, seit ich zum letzten Male hier war. Wenig hat sich geändert seit damals. Gut, renoviert ist vieles, aber das meiste erkenne ich wieder. Ein lohnender Fotorundgang bestätigt den Ersteindruck. Archontariki, Kirche, Trapeza und vieles mehr sind unverändert. Die Zahl der auf das Kloster zugelassenen Autos aber hat sich stark erhöht.

Für diesen Tag ist die Große Lawra meine Zwischenstation, auch um alte, wenn auch nur gemalte, stumme Bekannte wieder zu sehen. Immer noch haben es mir die wunderbaren Fresken in der Trapeza angetan. Die Verteilung der Betten an die zahlreich eingetroffenen Pilger geschieht schnell und reibungslos. Die Routine in der Bewältigung großer Gastzahlen ist unübersehbar. Dem bewundernden Spaziergang durch die ausgedehnte Klosteranlage steht nichts mehr im Wege. Im Gegensatz zu den meisten anderen Klosteranlagen ist die Entwicklung der L02 Lawraawra aus einer Siedlung zum Großkloster erkennbar. Wo andernorts Festungen trotzen, verteilen sich innerhalb der Mauern auf großer Fläche viele kleinere Gebäude. Die Zypressen des Athanasios beschatten nach wie vor die überraschend niedrige Kirche, die Phiale (Weihwasserbrunnen) davor erscheint geradezu riesig. Die aus einem Stein geschlagene Schale für die Wasserweihe, die prachtvollen Brüstungsplatten und die eindrucksvolle Ausmalung ziehen den Blick des Besuchers auf sich. Dann warte ich vor der Trapeza mit vielen Anderen auf den Einlass in das „Restaurant der Philosophen“. Vom Abendessen bekomme ich kaum etwas mit, ich bin mit Schauen viel zu sehr beschäftigt. Natürlich ist es besser, sich die großen „Insekten-Griller“ mit ihrem bläulichen Licht weg zu denken. Die Heiligen und Philosophen an den Wänden ficht tierisches, aber auch menschliches Gewimmel wohl nicht an. Mit stoischer Gelassenheit thronen sie über den an Marmortischen speisenden wohl hundert Gästen und fünfzig Mönchen. Anzunehmen ist, dass die Lawra als größtes und ältestes Kloster des Athos jeden Tag so heimgesucht wird, von Festtagen einmal ganz abgesehen.

Viel Routine verrät auch die Art, wie Mönche sofort nach dem Essen in der Art von Verkehrspolizisten ihre Gäste einfangen, um sie zur Verehrung der hl. Reliquien, der hl. Lipsana, in das Katholikon zu geleiten. Der Nichtorthodoxe wird sofort erkannt. Freundlich bittet mich ein echter Polizist, mit ihm zusammen etwas abseits zu bleiben. Die Übergabe der „Fakelakia“ (kleine Briefumschläge) mit Wünschen um Fürbitte oder Geld kann ich ebenso gut beobachten wie die andächtige Verehrung beim obligaten Kuss der Reliquie.

Aber die Lawra ist ja dieses Mal nicht mein Ziel. Nach der ruhigen Nacht im Zehnbett-Zimmer breche ich auf in die nahe gelegene rumänische Skite Agios Prodromos. Den alten Fußweg kann ich nicht mehr finden, es ge04 ag. Mina akrathosht also immer die Straße lang.

Der junge, ziegenbärtige Archontaris empfängt, wohl ob der frühen Stunde überrascht, aber freundlich, lädt zu Loukoumi und Kaffee und versichert, dass ich selbstverständlich mein Gepäck abstellen könne. Als ich ihm erkläre, zur Höhle des Athanasios und zum Akrathos-Kap zu wollen, nickt er zufrieden. Es wird ein gemütlicher Spaziergang. Blühende Obstbäume säumen meinen Weg. Die blauweiße Griechen- und die gelbe Kirchenfahne mit dem Doppeladler zeigen die südlichste Spitze der Athos-Halbinsel an. Sie wehen über dem kleinen Kellion Ag. Minas. Hier also, weit unterhalb zerschellte im Jahre 963 vor Christus die persische Flotte bei ihrem Angriff auf Griechenland auf den Felsen des Kaps. Selbst wenn wir die Zahl von 20.000 toten Soldaten als zu hoch einschätzen, so läuft beim Anblick der tückischen Untiefen ein Schauer über den Rücken. Und dies, obwohl heute eher ruhiges Wetter vorherrscht. Neugierig, da das Tor offen st06 akrathoseht, betrete ich den Hof des Kellion des heiligen Minas. Vater Josif, der Anachoret, pflastert eben den kleinen Innenhof. Nicht ganz einfach, wie er mir ohne Rüge meiner Zudringlichkeit mitteilt, da die Hoffläche unterschiedliche Neigungen aufweise und die starken Regenfälle im Herbst gut abfließen sollten. Der Mann versteht sein Handwerk. Vater Josif entschuldigt sich beredt, mir die Kirche nicht zeigen zu können, seine zementverschmierten Schuhe seien aber auch zu schmutzig. „Wenn du wiederkommst, zeige ich dir alles. Du kommst doch wieder?“ Wenige Schritte weiter, einem Tipp des Einsiedlers folgend, stehe ich am Rand der ungewöhnlichsten Steilküste, die ich je sah. Oft bin ich durch die südwestliche Erimos gewandert, noch öfter vorbeigefahren und immer war mir ein Rätsel, wie solche selbstgewählte Einsamkeit auszuhalten sei.14 akrathos

Das Akrathos-Kap im Südosten der Halbinsel aber ist eine ganz andere Angelegenheit.

In die hochaufragende Steilküste des Kaps sehe ich Hütten, schwalbennestartig ohne erkennbaren Zugang in die überhängende Wand geklebt, Einsiedler hier? Versorgung mit Lebensmitteln schwierig bis extrem problematisch. Krankheit nicht erlaubt. Nicht einmal die alten Holzleitern, deren Reste an einigen Stellen der Erimos noch erkennbar sind, finde ich hier. Auch wird die Versorgung der Einsiedler dort nun durch kleine Seilaufzüge erleichtert. Und hier? Hier soll jemand wohnen?

Zurück zu Vater Josif. Der schmunzelt, als er mich nach so kurzer Zeit wieder sieht „Ich weiß schon, was du willst. Ja, alle Hütten und Höhlen sind bewohnt und die im Bau befindlichen bereits alle vergeben. Vergeben an eine neue Generation von Einsiedlern, die zurück zu den Anfängen gläubig07er Einsamkeit mit Gott und damit zum Licht streben. Die notwendigste Versorgung wird auch hier durch kleine Seilaufzüge sichergestellt. Ein schönes Leben.“ 

Für mich sehr schwer nachvollziehbar. Ich mache mich auf den Weg, zweihundertundachtzehn Stufen abwärts zur Höhle des Athos-Gründers Athanasios. Leider umsonst, da die kleine Kapelle und das vorgebaute Häuschen in der Steilwand abgeschlossen sind. Zweihundertundachtzehn Stufen aufwärts, zurück zur Skite des Agios Prodromos. Dort ist eine Gruppe von rumänischen Mönchen eingetroffen. Ich schließe mich der nachmittäglichen Kirchenführung an. Vor langer Zeit kamen wir während der Ausmalung der Kirche hier an. Die Fre13 mönch am Kreuz prodromisken sind längst fertiggestellt und bieten in ihrer bunten Farbgebung einen eigenartigen Reiz. Neu und blutrünstig, aber farbenfroh.  Die Unterschiede zwischen den alten Meistern der Fresken, Panselinos oder Theophanes und den neuen Meistern sind frappant, bewegen sich aber im Rahmen des Malerhandbuchs. Fast gerührt bewundere ich auch hier eine Himmelsleiter und endlich einmal eine Darstellung des Gekreuzigten Mönchs. Die goldene Ausstattung der Kirche und der Ikonostase sind wohl weniger mein Fall, da ich die dunkle, manchmal düstere Intimität byzantinischer Kirchen mit oft völlig unerwarteten Lichtreflexen bevorzuge. Kunsthandwerkliches Geschick in Vollendung verraten die getriebenen Türen zum Katholikon, die beim letzten Besuch noch nicht existierten. Über Kunstsinn  und –formen kann gestritten werden, eines steht fest: Die rumänischen Mönche der Skite haben ganze Arbeit geleistet.

Der Abend vergeht rasch. Ein wohlschmeckendes Essen aus Spinatreis und Feta, Plauderei am Tor mit Gästen und Archontaris, der Schlaf kommt rasch. Rasch kommt leider auch gegen vier Uhr morgens der Archontaris mit einem Glöckchen, wie ich es noch nie hörte. Klein, hoher und durchdringender Ton. Gnädig gewährt er mir Dispens. Ungläubige verstehen sowieso nichts von der Liturgie.

Ich erinnere einen schwierigen Weg nach Kafsokalyvia. Bei Anbruch der Dämmerung drücke ich mich nach kurzem Abschied und Dank durch die geöffnete kleine Pforte. Es sollte ein sehr  anstrengender und schwerer 12Weg werden. Entlang der gemauerten alten Wasserleitung führt er aufwärts in den Waldbestand, die Luft ist schön frisch. Das Wandern macht anfangs Freude. Am Tiergatter sorgt ein Schild für Heiterkeit. Hier bittet ein Mönch, das Gatter zu schließen, da sonst „seine Mulis bis in die Lawra rennen“ würden. Der Bitte komme ich brav nach.

Später hätte ich nichts gegen ein entlaufenes Muli, wenn es nur mir zu Hilfe käme. Immer höher führt mein Weg, immer schwerer wird mein Rucksack. Vor vielen Jahren war der Pfad doch nicht so steil und nicht so überwuchert. Oder bin ich nur älter und bequemer geworden? Vor der Überquerung des riesigen Geröllfeldes, das ein Erdrutsch vor langer Zeit hinterließ, brauche ich eine lange Pause. Endlos scheinbar dehnt sich  der Weg, sonnendurchglüht ist er auch und ich erinnere mich an viele lose Steine. Vorsichtig sollte der Fußweg begangen werden. Wie dies an10stellen, wenn die Knie bereits zittern? Zum Glück sind Blumen bereits an den unmöglichsten Stellen in voller Blüte. Ich weiß, dass ich mir mit dem Wunsch zum Foto selbst in die Tasche schwindle, nutze aber jede dieser Pausen schamlos aus.

Irgendwann ist auch das geschafft und ich kann mich auf den Brunnen beim Kellion des Agios Neilos und auf die Kapelle des Heiligen mit Aussicht und Ruhebank freuen. Den Rucksack nehme ich schon gar nicht mehr mit hinab, ich muss die vielen Stufen ja auch wieder empor steigen.

Dann sitze ich wieder vor der kleinen, in den Fels geschlagenen Kapelle des heiligen Neilos und erinnere mich an meine erste Begegnung mit der „Kapelle der Unendlichkeit“.11 neiloskapelle

So nah und doch noch so fern. Unerreichbar schien nach einer Wegbiegung die Kapelle des Heiligen Neilos aufzutauchen. 200 m über dem Meer höhlte der Heilige einen Überhang in steil abstürzender Felswand aus und baute darin Haus und Kirche. Der Besucher hat es heute leichter. Ein letzter steiler Anstieg, zwischen den Kellia von Vater Joakim und Vater Ephraim hindurch, dann beginnt die neue, perfekt gearbeitete Treppe zu einem der schönsten Punkte des Athos. Große Bezeichnungen angesichts der Fülle ungezählter herausragender Kultur- und Landschaftserlebnisse am Heiligen Berg. Ich denke nicht mehr darüber nach. Beschützt vom weit überkragenden Gipfel liegen das alte zweigeschossige Haus und die vorgebaute kleine Kirche mit dem Grab des Heiligen weit über dem Meer. Türkisgoldene Meeresweite, weiße Brecher an zerfurchter Felsküste, schroffe, von Wind und Wetter der Jahrhunderte geformte Marmorfelsen, Abstürze in unsichtbare Tiefen und grünsilberne Wälder, alles ist da. Und über alldem thront der Marmorkegel des Athos. Dieser steht im Mittelpunkt vieler Mythen. So weist die Spitze seines Schattens im Meer nach Konstantinopel und der gesamte Verlauf der H16 athos gipfelalbinsel in den Sinai, eine historische Stätte christlichen Mönchstums. Von der Neilos-Kapelle aus kann ich das nicht sehen. Den Schatten des Berges in nachmittäglicher Sonne nahm ich bereits früher vom Gipfel aus wahr. Der nachgesagte Fingerzeig des Kegels in den Himmel liegt im Sonnenlicht plastisch und nachvollziehbar vor mir. Eingerahmt von zwei Vorbergen verlängert sich die Schlucht unterhalb der kleinen Kirche aus dem lichtüberfluteten Meer kommen über dunkle Tiefen hinauf zum strahlenden Dreieck des zum Himmel aufragenden Berges aus reinem Marmor. Welch prachtvoller Wegweiser.  

Und dann noch nach Kafsokalyvia, der Weg ist auch nicht ohne. Hier will ich in aller Ruhe übernachten. Es bleibt beim Wunsch. Im Näherkommen höre ich schon eine Gruppe von Bergsteigern lautstark auf der Terrasse. Alles, nur das heute nicht. Ich bade förmlich im kalten, klaren und frischen Wasser am Brunnen der Skite und raffe mich zu einer letzten Kraftanstrengung auf. Hinab zum Hafen, denn mit der Agia Anna kann ich heute noch den Athos verlassen und in meinem Bett meine Wunden, auch die meines Selbstbewusstseins, pflegen. Für heute jedenfalls habe ich genug vom Wandern, auch wenn es das Wandern am Heiligen Berg Athos ist.

In der senkrechten Wüste17

Aufstieg in die Erimos bedeutet einen Aufstieg bei schon am Morgen sengender Hitze. Einen anstrengenden Weg durch andere Vegetation als bisher und über steile Felssteige, vorbei an bescheidensten Hütten und notdürftig hergerichteten Kirchlein. Über weite Strecken führt er durch die Verdauungsreste zahlloser, meist schwerbeladener Mulis, die diesen beschwerlichen Pfade zweifellos leichter bewältigen als der frühe, aber schon schwitzende Wanderer. Schon überholt mich ein albanischer Helfer mit drei Mulis. Traumwandlerisch sicher setzen sie Huf vor Huf, ungeachtet ihrer Last aus Schieferplatten für imposante Dächer. Wohl nicht in der Steilküste, sondern eher in Katounákia, Mikrí Agia Anna oder bei den Danieliden, den Malermönchen. Von fern oben klingt auch prompt unverkennbares Kompressorgeräusch.20 Erimos

Schroffere Gegensätze lassen sich schwerlich vorstellen. Der Steilwand mühsam abgerungene Ernährungsfläche um kleinste Hütten. Oben die neue, marmorfunkelnde Kirche in der Nähe der Bruderschaft der Danieliden. Rosen und Engelstrompeten wechseln einander ab. Oben und unten, nur geeint durch beiden gemeinsame herrliche Aussicht. Noch an der Kirche stehend, höre ich, wie sich die Pforte der Danieliden schließt. Bereits zum dritten Male ist es mir nicht vergönnt, einen Blick in die Ateliers der Malermönche zu werfen. Das Geräusch der schließenden Pforte dagegen ist mir sattsam bekannt.

Hoffart oder Nachruhm?

Weiter führt also mein Weg zur Skite der Heiligen Anna über das hochgelegene Mikri Agia Anna. Bauten von allerfeinster Machart und Eleganz, abweisende Mauern und gepflegte Gärten werden passiert. Heimstatt für arme Mönche? Hier lebte doch noch im letzten Jahrhundert der große Asket und Eremit Josif, genannt „der Höhlenbewohner“. Zahllose Verzierungen und beste Materialien der Neubauten zwingen nachgerade zum Zweifel. Zwei große Grabtafeln aus teurem schwarzem, auf Hochglanz poliertem Granit fesseln den Blick. Wo sonst auf dem Heiligen Berg nicht einmal ein Spiegel erlaubt ist, um nicht hoffärtiger Selbstbewunderung zu verfallen, sind diese Tafeln mit perfekten Gravuren von je einem bärtigen Gesicht geschmückt. Die Frage mag erlaubt sein, ob auch die Dargestellten nach mönchischer Sitte nur in ihrer Kutte beerdigt und ihre sterblichen Überreste nach angemessener Frist in das Beinhaus verbracht wurden. Nun denn, gönnen wir ihnen ein wenig Nachruhm.26 Kadsokalyvia

Hinauf zu Christi Geburt

Mein Ziel, die Karoulia ist erreicht. Von hier gedenke ich zum „ich weiß nicht wievielten Male“ nach Ag. Basileios und Kerasia aufzusteigen. Aus den verschiedensten Gründen blieb mir dieses Ziel bei noch jedem Anlauf verwehrt. Souverän rauscht die Agia Anna am Hafen vorbei. Meta, später, beschwichtigt der Kapitän meinen Protest. Erst geht es nach Kafsokalyvia. Aber dann geht es los. Leider hat auch die Sonne bereits die Stufen nach Katounakia erreicht. Die Temperaturen steigen  rapide, die ersten Schweißtropfen sind bereits vergossen. Zum Glück naht Hilfe. Sie hat sogar einen Namen. Vater Christos vom hoch gelegenen Kellion Geburt Christi erbarmt sich meiner Not und lädt seinem Muli zusätzlich meinen Rucksack auf. 400 steile Stufen später haben wir uns schon näher kennen gelernt. Im Kellion werde ich herzlich empfangen. Loukoumi, Tsipouro und Wasser st19 KAROULIAehen schnell auf dem Tisch, von welchem spektakuläre Aussicht auf das Meer möglich ist. Ich bleibe in Besichtigung und Gespräch länger. Es ist auch zu schön hier. Immerwieder geht der Blick in scheinbar unendliche, flirrende Weiten. Die angebotenen späten Trauben schmecken köstlich. Nein, ein Foto möchte der 85-jährige, aber quicklebendige Mönch, nicht von sich haben. Seit mehr als 60 Jahren lebe er hier, da brauche er so was nicht und werde auch nicht mehr mit damit anfangen.

Der Blick auf die Uhr belehrt, dass es höchste Zeit für mich wird, Abschied zu nehmen, wenn ich mein Ziel noch erreichen will. Die kleine Siedlung des Heiligen Baseilios liegt noch einmal 400 Höhenmeter weiter oben. „Du bist schneller oben, wenn du eine Abkürzung gehst“, wird mir bedeutet. Außerdem soll ein Teil des alten Weges abgerutscht sein. Also los!22 athos

Nur, wohin genau? Ich dachte, die Hinweise verstanden zu haben und stehe nun mitten in der Landschaft. Wohin?

Leider abwärts! In viel zu kurzer Zeit kommt die Agia Anna und ich bin nicht für eine Übernachtung im Freien und in dieser Höhe eingerichtet. Was hat der Heilige Baseilios nur gegen mich?

Mit zitternden Knien ob des Tempos erreiche ich den Hafen der Karoulia. Der Heilige wehrt mich nicht nur ab, er tut dies auch noch mit einer gehörigen Portion Ironie. Im Hafen wartet ein junger Mönch, Vater Paisios, mit seinen Mulis auf eine Lieferung. „Woher kommst du und wohin gehst du?“ „Und du?“ „Ich komme von Agios Baseilios und gehe mit meinen Mulis dahin zurück“. Dann entdecken wir sogar noch einen gemeinsamen Freund, V. Georgios. Jetzt weiß ich, dass ich irgendwann auch nach Agios Baseilios kommen werde.

Wandern am Ende der Welt23 sonnenaufgang

Oft werde ich nach meiner Motivation für die Wanderungen in der Mönchsrepublik Athos gefragt. Es fiel und fällt mir immer schwer zu antworten. In weit mehr als zwanzig Jahren gewann ich viele Freunde, führte unzählige ruhige und hitzigere Diskussionen, wanderte alleine – manchmal bis zur Erschöpfung in der Einsamkeit einer der prachtvollsten Landschaften der Welt, begegnete wunderbaren, bereichernden Menschen ebenso wie lärmigen Schreihälsen, bigotten Fanatikern wie grüblerischen Philosophen auf der Suche nach Licht und Wahrheit. Und kann doch nur sagen, ich weiß es nicht. Fragen Sie mich bitte nach weiteren zwanzig Jahren nochmals.

 

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